Arbeitsgemeinschaft Elternbeiräte an Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart

Pressemitteilung der ARGE-Sitzung im November 2017

Ludwigsburg (mg): Im Rahmen seiner Mitgliederversammlung hat sich die ARGE Stuttgart, der Zusammenschluss der Elternvertreter in den Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart, am letzten Wochenende mit der Unterrichtsversorgung an den Gymnasien beschäftigt. Auf einer Podiumsdiskussion mit Bildungspolitikern der CDU, der SPD, der FDP und dem Vorsitzenden des Philologenverbandes Baden-Württemberg wurde nach Möglichkeiten gesucht, das Problem des gefühlten und tatsächlich ausfallenden Unterrichts an den Gymnasien zu lösen. Einigkeit herrschte am Ende der Diskussion in dem Punkt, dass mit einer Unterrichtsversorgung von 110 Prozent viele, aber beileibe nicht alle Probleme der Unterrichtsversorgung gelöst werden könnten.

Der ARGE-Vorsitzende Bernhard Herp leitete die Diskussion mit der Bemerkung ein, dass die Arbeitszeit der Lehrkräfte ein Mysterium unserer Zeit sei, das wenig Transparenz und viel Unverständnis auf allen Seiten mit sich bringe. Als eine der Hauptursachen für ausfallenden Unterricht durch Krankheit, Schwangerschaften oder Pensionierungen wird die „auf Kante genähte Unterrichtsversorgung“ genannt. 100 Prozent Lehrerversorgung decke eben die Unterrichtsausfälle nicht ab, die Forderung daraus – aufgestellt von Eltern, Politikern und Philologenverband: 110 Prozent Unterrichtsversorgung zu Beginn eines Schuljahres. Das löse zwar nicht die fachspezifischen Probleme (MINT-Fächer), aber eine ganze Reihe anderer Probleme.

Der Vorsitzende des Philologenverbandes Bernd Saur erinnerte daran, dass jede ausgefallene Schulstunde Konsequenzen im Schulergebnis zeige. Die Philologen fühlten sich von der Landesregierung im Stich gelassen, denn eine Mangelsituation werde immer auf dem Rücken der Lehrer ausgetragen. In den Jahrgängen, in denen man ohnehin durch die Umstellung von G9 auf G8 verschärften Leistungsdruck habe, falle Unterrichtsausfall noch verstärkt zur Last. Die Regelungen für die Anrechnung von Deputat-Stunden und Fortbildungen sorgten zusätzlich für Unterrichtsausfall, den die einzelnen Schulen nicht auffangen könnten.

Die SWR-Journalistin Susanne Kaufmann hatte wenig Mühe, die Diskussion auf die Problemlösungsansätze zu bringen und parteipolitisches Geplänkel immer wieder schnell zu beenden. Ganz auf ihrer und der Linie der Eltern-Argumente befanden sich die Politiker mit ihren Statements: „Mein subjektives Gefühl sagt mir, dass da mehr ausfällt, als mir gesagt wird.“(Tim Kern, FDP), „Die Rücknahme der vor Jahren beschlossenen Streichung von Lehrerstellen bedeutet keine einzige Lehrerstelle mehr.“ (Stefan Fulst-Blei, SPD), „Guter Unterricht kann nur der sein, der überhaupt stattfindet.“ (Kern, FDP)

Als völlig unverständlich empfanden es sowohl Eltern als auch Politiker, dass es keine stichhaltige Erhebungsmöglichkeit für die tatsächliche Situation an den Schulen gebe. Es fehle schlicht die Software im Land, um den Bestand oder Fehlbestand realistisch zu erfassen. Jahrelang gehe dann statistisch die Zahl der Schüler zurück, tatsächlich gab es aber nie weniger Schüler. Gleichwohl würde auf den nicht zutreffenden Zahlen der Statistiker der Unterrichtsbedarf geplant.

Die Lösung der Herkulesaufgabe, 4.500 Schulen zu vernetzen und daraus verlässliche Daten für den Unterricht im Land zu bekommen, sieht Stefan Fulst-Blei (SPD) in den nächsten Jahren nicht. Die einzige wirklich helfende Maßnahme sei, mehr Lehrer einzustellen. Das könne angesichts der entspannten Haushaltslage und 3.000 Bewerbern auf 800 zu besetzende Stellen kein wirkliches Problem für Baden-Württemberg sein.

Karl-Wilhelm Röhm (CDU) warnte davor zu glauben, dass allein eine realistische Datenlage Probleme lösen könnte. Schwangerschaften und Krankheiten seien nicht planbar, eine Datenerhebung im November für Schulleiter nicht verlässlich für die Lage im Februar. Verantwortlich für die Lösung kurzfristiger Probleme seien jetzt wie künftig die Schulleiter vor Ort. Eine 107 bis 110-prozentige Unterrichtsversorgung sei aber sicherlich ein richtiger Ansatz für die Lösung vieler Probleme. Dem stimmte Bernd Saur zu und forderte eine bessere Planung und rechtzeitige Einstellungen. Ersatzbeschaffung zu Beginn oder im laufenden Schuljahr sei fast unmöglich, denn niemand könne von fertigen Lehrern erwarten, dass sie bei Nichteinstellung nach Ende von Studium oder Referendariat zuhause rumsitzen würden. 

Die Podiumsdiskussion ging weiter mit dem Austausch der Standpunkte zum Thema Fortbildung, Anrechnung von Vorbereitungen auf das Abitur, flexible Arbeitszeit-Möglichkeiten und „Technik“-Versetzungen in den ländlichen Raum („Es kann nicht sein, dass Lehrkräfte lieber in Tübingen arbeitslos sind als in Buchen zu unterrichten.“ „In Nordbaden gibt es zwei Sorten von Lehrern: Die, die in Heidelberg unterrichten und die anderen, die in Heidelberg unterrichten wollen“.) Als Maßnahmen wurden angeregt, ein Lebenszeit-Arbeitskonto für Lehrer einzuführen, Teilzeitarbeit eher zu erleichtern als einzuschränken, spätere Pensionierungen zu erleichtern und Mehrarbeit zu vergüten statt auf andere Leistungen anzurechnen. In den Mangelfächern müsse gegebenenfalls auch „auf Halde“ eingestellt werden, um eine Einsatzreserve bilden zu können.

Gewerkschafter Bernd Saur forderte die Eltern auf, sich zu formieren. Wenn es überhaupt eine Gruppe gebe, auf die die Politik hören würde, dann sei dies die Gruppe der Eltern. Sie könnten den Druck aufbauen, der helfe, das Problem der Unterrichtsversorgung zu lösen.