Arbeitsgemeinschaft Elternbeiräte an Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart

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Elternvertreter und Philologenverband fordern Transparenz und Datensicherheit für digitale Lernplattformen

Schon vor der Landespressekonferenz hatte die ARGE Stuttgart in ihrem Rundschreiben auf das Problem der Einführung neuer digitaler Lernplattformen durch das Kultusministerium und auf die Probleme einer Einführung von Cloud-gestützter Software hingewiesen. Bei den Rückmeldungen sowohl von ARGE-Mitgliedern und Schulleitungen wurde sehr häufig auf die an den Schulen bereits bestehenden Lösungen verwiesen, die einwandfrei und zur Zufriedenheit aller funktionierten und die man doch unbedingt erhalten müsse.

Dieser Punkt wurde auf der Landespressekonferenz von allen Teilnehmern auf dem Podium aufgegriffen: Die Schulen im Land hätten in den letzten Monaten - durch die Pandemie mehr oder minder notgedrungen - digitale Kommunikationsformen entwickelt, die auch überall dort gut funktionierten, wo die Datenübertragungsmöglichkeiten gegeben seien. Diese nun zugunsten eines anderen Systems abzuschalten, wäre einer der großen Fehler, die in der an Pannen und Fehlern reichen jüngeren Geschichte der Bildungspolitik noch fehlte. 

Der LEB-Vorsitzende Michael Mittelstaedt war sich mit dem Vertreter des Philologenverbandes, Cord Santelmann, und dem ARGE-Stuttgart-Vorsitzenden Michael Mattig-Gerlach einig, dass derzeit Cloud-basierte Software und neue digitale Lernplattformen nicht benötigt würden. Die Fortsetzung der Ditgitalisierung an den Schulen müsse durch Schulung der Lehrkräfte und der Schüler*innen an der zur Verfügung stehenden Hard- und Software sichergestellt werden. Es mache wenig Sinn, wenn jeder Lehrer seinen Dienstlaptop zur Verfügung habe, wenn man es gleichzeitig aber versäume, die Prinzipien von Fernunterricht und die Verzahnung von Fern- und Präsenzunterricht zu präzisieren. Da lieferten die bisherigen Erlasse allenfalls grobe Orientierung, aber nur wenige Lehren aus den verschiedenen Phasen des Distanzunterrichts der vergangenen Schulmonate. Dienstlaptops und andere "digitale Endgeräte" in der Nutzung an den Schulen müßten gewartet, instandgehalten und in der Software auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Das könnten sicher nicht den mit Endgeräten arbeitenden Lehrkräften überlassen bleiben. Vom dafür an den Schulen notwendigen Fachpersonal ist auch bislang nichts zu hören oder zu lesen. 

Sinnvoller als die vor der Öffentlichkeit weitgehend verborgen gebliebene Suche nach einem Ersatz für die krachend gescheiterte Lernplattform "Ella" sei es, genügend Mittel für den Ausbau der Datennetze in allen Landesteilen zu fordern und zu fördern, sowie alle Lehrkräfte auf den aktuellen Stand von E-Learning zu bringen. Die offensichtlich intensiven Bemühuingen des Kultusministeriums, das Cloud-basierte Software-System MS 365 von Microsoft datenschutzkonform zu machen und durch vertragliche Abmachungen mit Microsoft abzusichern, deuteten allen anderslautenden Informationen des Kultusministeriums zum Trotz darauf hin, dass man über die angekündigte Testphase an 80 berufsbildenden Schulen hinaus bereits fest an der allgemeinen Einführung des Systems arbeitet. Das Pilotprojekt für die Lernplattform mit MS 365 im Oktober wird mit Echt-Daten durchgeführt zu einem Zeitpunkt, wo die Abmachung über die Datensicherheit noch gar nicht unterzeichnet oder ausgehandelt, geschweige denn von den potentiellen Teilnehmern an dem Projekt akzeptiert worden ist.

Normal, so war man sich auf dem Podium der Landespressekonferenz einig, müsse der erste Schritt für eine digitale, Cloud-gestützte Lernplattform an den Schulen sein, dass zunächst die gesetzliche Grundlage mit der absoluten und zeitlich uneingeschränkten digitalen Souveränität der Behörden geregelt sei. Wenn diese Grundlage vorhanden sei, dann müsse man sich für das Produkt entscheiden, das diesen Grundlagen entspricht. Jetzt aber habe man sich offensichtlich bereits für MS 365 entschieden und versuche im Nachhinein, den Einklang mit den Datenschutzrichtlinien in Europa herzustellen. Dies aber - so der Tenor der Landespressekonferenz - sei mit einem in den USA ansässigen Unternehmen nicht machbar. Für alle US-Unternehmen gelte der Cloud-Act der US-Regierung, wonach der Staat unter dem Gesichtspunkt der nationalen Sicherheit auch auf Server des Unternehmens im Ausland zugreifen könne. Daran kann auch eine noch so detailliert ausgehandelte Vereinbarung mit Microsoft Deutschland und können auch noch so oft wiederholte Behauptungen des Kultusministeriums nichts ändern. Man erwarte, so Michael Mittelstaedt auf der LPK, dass auch der Landesdatenschutzbeauftragte zu diesem Schluss komme.

Cord Santelmann (PhV BW) unterstrich die aus Sicht der Lehrkräfte unmögliche Situation, die Souveränität über die Daten ALLER Schüler und Lehrkräfte an den Schulen zu verlieren, um ein durchaus beliebtes und häufig vor allem im "normalen" Alltag angewendetes Software-Angebot eines Marktführers einzuführen. Bei der Digitalisierung der Schulen könne es nicht darum gehen, neben den jetzigen Anwender-Generationen auch die künftigen Benutzer in den "goldenen Käfig" von Microsoft zu führen. Es müsse darum gehen, Medienkompetenz zu unterrichten, die bei den Schülern die Fähigkeit zur Folge hätte, über die digitalen Lösungen selbst entscheiden zu können.

Michael Mattig-Gerlach griff das Argument Santelmanns auf, wonach Datenabfluss von Servern oft weniger mit nationaler Sicherheit als mit Industriespionage zu tun habe und erinnerte daran, wie nützlich so eine Cloud-gestützte Microsoft-Lösung für die USA sein könnte, wenn darauf eben auch die Ergebnisse von "Jugend forscht" zu finden seien. Angesichts der aktuellen internationalen Probleme sei das Argument sicher nicht allzuweit hergeholt, dass die USA im Ausland genutzte Software-Plattformen als Waffe im Handelskrieg einfach und kurzfristig abschalten könnten. Nicht mehr weiter betriebene und gepflegte Softwarelösungen hätten zur Folge, dass die Schulen gezwungenermaßen beim einmal gewählten Anbieter bleiben müßten, wenn das System nicht als Open-Source-Lösung mit dem Zugang zu den Quell-Codes der Software betrieben würde. Wer heute in die USA fliegen wolle, habe alle die von ihm geforderten Daten anzuliefern - oder müsse - als einzige Alternative  - zuhause bleiben. Einen derart alternativen Verzicht auf Datensouveränität durch ein Land konnte sich bei der Landespressekonferenz eigentlich niemand vorstellen - zumal es eben einige verfügbare und bereits aktive alternative Lösungen auch in Baden-Württemberg selbst gebe.

(Die Presseerklärung von Landeselternbeirat, der ARGEn im Land und des Philologenverbands finden Sie hier.)