Arbeitsgemeinschaft Elternbeiräte an Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart

AKTUELLES

Schulöffnung so schnell wie möglich, aber mit Plan

Rundschreiben vom 27.Januar 2021

Liebe Mitglieder der ARGE Stuttgart,

am Montag, den 25.Januar, gab es ein AHA-Erlebnis mit ganz kurzer Halbwertszeit: Da schickte uns jemand ein Wahlplakat der Kultusministerin zu, auf dem wir, die ARGE Stuttgart, doch tatsächlich zitiert wurden. Jedenfalls in Teilen. Da stand auf einem Bild mit einer kämpferisch dreinschauenden Ministerin der Spruch: „Nicht umsonst sind wir das Land der Tüftler und Denker.“ Oha, hatte die Ministerin womöglich erkannt, dass es Bildung im Land der Tüftler und Denker nicht umsonst gibt und dass man dafür die Mittel investieren muss, damit es auch künftig genug Tüftler und Denker gibt?

Zum (Un-)Glück erklärte der nächste Satz, dass sie mit dieser Wunschvorstellung nichts am Hut hat. Da stand nämlich: „Wer es nicht im Boden hat, der muss es in der Birne haben.“ Wie sie das wohl unterstützen will mit einem Jahrzehnt verpennter Digitalisierung, bis zu 13 Prozent Unterrichtsausfall VOR Corona, dauerhaftem Lehrkräftemangel und zu großen Klassen? Na ja: Ist ja Wahlkampf und da wird nicht so genau d‘rauf geschaut…

Dabei sind wir uns doch eigentlich alle einig. Jedenfalls im Prinzip.

Niemand will unsere Kinder auch nur einen Tag länger von der Schule fernhalten. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir alle mit der Ministerin konform gehen, wonach der Präsenzunterricht so schnell wie möglich wieder stattfinden muss. Niemand widerspricht der Sorge von der fehlenden sozialen Struktur durch das Fehlen der Schulen. Nie wurde das Lied von der segensreichen Wirkung des Unterrichts höher gesungen – und vermutlich waren auch noch nie Lehrkräfte in ihrer Funktion für unsere Kinder weit über die Wissensvermittlung hinaus so hoch angesehen.

Also wird auch kein Elternteil dem Wunsch nach schneller Öffnung der Schulen widersprechen. Wenn dieser Wunsch aber wirklich auch im Kultusministerium nicht nur wahltaktisch gesagt, sondern auch ernst gemeint ist, dann muss man sich natürlich fragen, warum seit dem Beginn der Pandemie an unseren Schulen nicht sehr viel mehr geschehen ist, als jede Menge digitaler Endgeräte über Schüler*innen und Lehrkräfte auszuschütten.

Wie weit ist denn

-      die Anbindung der Schulen an leistungsstarke Netze gediehen, damit Distanzunterricht auch möglich ist?

-      die systematische Einstellung von Wartungskräften in Gang gekommen, damit Lehrkräfte sich mit didaktischen und pädagogischen Problemen eines modernen Unterrichts im Jahr 2021 beschäftigen können und nicht mit dem Auspacken und Aufspielen von Programmen sowie der Wartung von Laptops und Ipads?

-      das Fortbildungsangebot für Lehrkräfte ausgebaut worden, damit digitaler Unterricht sich nicht im Übertragen vom Tafelbild auf PC oder Laptops der Schüler*innen zuhause erschöpft?

-      die Vorbereitung auf den ab Anfang/Mitte Februar – oder womöglich erst ab März vielleicht stattfindenden Wechselunterricht unter Pandemiebedingungen vorangekommen?

-      die Rekrutierung von nicht angestellten Betreuungskräften in die Wege geleitet worden, damit der Wechselunterricht in kleinen Klassen unter den erforderlichen Hygienevorschriften für einen zunehmend mutierenden und gefährlicher werdenden Corona-Virus überhaupt stattfinden kann?

-      der Umbau der Schulen mit Lüftungssystemen und ggfls auch Plexiglas-Trennwänden zwischen den Lernplätzen beauftragt worden, wenn die Lerngruppen eben nicht auf AHA-Bedingungen verkleinert werden können?

Je nach den schulischen Verhältnissen der eigenen Kinder, fällt uns Eltern bestimmt noch einiges ein, was eigentlich nicht nur schön wäre, wenn man’s denn hätte, sondern was ein absolutes Muss ist, wenn man den Infektionszahlen entsprechend verantwortungsbewusst seine Kinder in die Schule lassen will.

Wir haben uns im ARGE-Vorstand sehr lange und sehr intensiv über die Schulbedingungen ausgetauscht, wie sie sein müssen, wenn man den Wunsch nach Präsenzunterricht umsetzen will. Wir haben uns auch sehr intensiv mit den vielen Mails unserer Mitglieder befasst – und sie beantwortet. Die Landeselternbeiräte in vielen Bundesländern, der Bundeselternbeirat, die ARGEn im ganzen Land und die Gesamtelternbeiräte vieler Städte in Baden-Württemberg, sie alle haben Vorschläge für eine Schule mit Plan diskutiert und auch vorgelegt.

Nur: Umgesetzt wird davon wenig bis nichts.

Konkret fordert die ARGE Stuttgart im Gleichklang mit vielen anderen Elternorganisationen die schnellstmögliche und stufenweise Öffnung  der Gymnasien nach Plan.

-      Es muss einen verlässlichen Präsenz-Unterricht der Klassen fünf bis sieben geben, der im Wechselunterricht in kleineren Lerngruppen nach dem Stundenplan stattfindet.

-      Parallel dazu müssen die Schüler*innen der Klassen fünf bis sieben im Rahmen der Schule betreut und mit schulischen Lern-Aufgaben versorgt werden. Dazu muss man die erforderlichen Räume anmieten, das Betreuungspersonal aus allen möglichen Quellen rekrutieren. (Studenten können derzeit kaum auf Nebenjobs zurückgreifen, das Personal für die Ganztagsbetreuung kann ebenso eingesetzt werden wie arbeitslose Lehrer, vor dem Examen stehende Lehramtsstudenten sowieso, und, und und. Es kostet halt etwas - Raummieten und Betreuungskräfte - , aber sehr viel weniger als so manche Milliarde, die man zur völlig richtigen Rettung von Wirtschaftsunternehmen ausgegeben hat und ausgibt.)

-      Für die älteren Jahrgänge muss es einen regelmäßigen und verlässlichen Distanzunterricht nach Plan geben, dessen Erfüllung und Teilnahme dokumentiert wird. Durch Präsenz-Tage nach den Möglichkeiten jeder Schule muss sich um jeden Schüler und jede Schülerin „gekümmert“ werden.

-      Das Lüftungsproblem muss endlich angegangen werden. Sowieso überall dort, wo das viel empfohlene aber wenig wirksame Stoßlüften schon aus baulichen Gründen nicht möglich ist. Der Frühling wird vielleicht das Temperatur-, nicht aber das generelle Luftreinigungsproblem an vielen Schulen lösen.

Die ARGE Stuttgart hält nichts von der gerade hochkommenden Diskussion, dieses Schuljahr komplett abzuschreiben. Die ARGE hält aber sehr viel davon, dieses Schuljahr unter dem Gesichtspunkt der Faschings-, Ostern- und Pfingstferien neu zu überdenken. Welchen Sinn machen Faschingsferien ohne Fasching und ohne die Möglichkeit, Winterurlaub zu machen? Zu hören ist aus dem Kultusministerium, dass man in dieser Zeit die Experimente aus dem ab Februar geplanten Wechselunterricht überprüfen könne. Warum denn erst jetzt und nicht schon vor Weihnachten, als man kurzfristig den Schulen den Laden dicht machte, ohne sie Fernlern-Konzepte anwenden zu lassen?

Ganz besonders schlimm betroffen sind die diesjährigen Abschlussklassen: Schon im Mai 2020 hieß es, dass man am Lernstoff streichen werde. Es gibt nur noch „Must-have“ und kein „Nice-to-have“ mehr im Unterrichtsstoff. Im Klartext und in der Schulwirklichkeit hieß und heißt das, dass keine Zeit für Vertiefungen mehr ist. Wer’s nicht gleich versteht, wird keinen zweiten Anlauf mehr haben. Die bis jetzt schon ausgefallenen Stunden in ALLEN Fächern haben die eingeräumte zusätzliche Zeit für das Lernen durch die Verschiebung der schriftlichen Prüfungen in den Mai inzwischen aufgebraucht. Wohl dem Abiturienten, der darauf bauen kann, dass in den Prüfungen dann tatsächlich nur die Themen drankommen, die im Unterricht durchgenommen wurden. Der Lockdown an den Schulen auch für die Abschlussjahrgänge wird noch andauern, „normaler“ Präsenzunterricht in diesem Schuljahr – und vor allem bis zum schriftlichen Abitur – kaum zu erwarten sein. 

Aber machen wir uns nichts vor: Das Lerndefizit über bald ein ganzes Jahr Unterricht unter Corona-Bedingungen ist in allen Jahrgängen groß – und bleibt erhalten. Es sei denn, es gäbe jetzt die Absicht, didaktische und pädagogisch aufeinander abgestimmt Pläne für ein Beseitigen der Lerndefizite zu entwerfen.

Wir haben uns im ARGE-Vorstand einen Wunschzettel geschrieben mit all den oben schon beschriebenen Wegen aus dem andauernden und im Ende nicht absehbaren Dilemma. Unsere „Exit-Strategie“ würdigt und anerkennt all die Leistungen der Schulleitungen und Lehrkräfte, die sich an vielen Schulen auch unter den widrigsten Bedingungen, die erneut zu beschreiben nur langweilen würde, einen verdammt guten Job gemacht haben. Wir Eltern haben auch dazugelernt und vermutlich nach Corona ein anderes Verständnis für pädagogische Leistungen, wo sie stattgefunden haben. Deshalb wünschen wir uns als Letztes, dass endlich eine Strategie des Kultusministeriums erkennbar wird, dass die unbedingt nötigen Beschlüsse für eine Schulöffnung MIT PLAN getroffen und mit Schulträgern, Schulleitungen, Lehrkräften, Schüler*innen und Eltern abgestimmt werden. Das Ministerium mag den Rahmen setzen und die nötigen Finanzmittel zur Verfügung stellen. In der Ausgestaltung vertrauen wir Eltern aber in der Zwischenzeit den Schulen und Lehrkräften sehr viel mehr als dem Kultusministerium.

Sorry, das Vertrauen muss sich das Ministerium erst wieder verdienen!                         

Liebe Eltern! Bleiben Sie gesund und verlieren sie nicht die Nerven, auch wenn es dafür viele Male in den letzten Monaten genug Anlässe dafür gegeben hat.

Mit herzlichen Grüßen

Michael Mattig-Gerlach,

Thomas Brauer

für den Vorstand der ARGE Stuttgart