Arbeitsgemeinschaft Elternbeiräte an Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart

AKTUELLES

Umfrage unter Gymnasiums-Eltern eindeutig zu Gunsten G9 als Regel-Schulform

Kultuspolitik geht an Eltern vorbei - das Ergebnis der Umfrage an den öffentlichen Gymnasien im Land

Die Arbeitsgemeinschaften der Gymnasialen Elternbeiräte (ARGE) in allen vier Regierungsbezirken des Landes (Karlsruhe, Stuttgart, Tübingen und Freiburg) haben die Eltern mit mindestens einem Kind an einem Gymnasium befragt. Wie stehen die Eltern zu G8/G9, wie stehen sie zum Ganztag, wie zu Bildungszielen und was wünschen sie sich für die Zukunft.

Insgesamt zeigt sich ein deutlicher Widerspruch zur gegenwärtigen Kultuspolitik und zu der vom Kultusministerium vermuteten und geäußerten Haltung der Eltern zu Kernthemen:

-  Eltern von Kindern am Gymnasium wünschen sich zu ca. 90% einen neunjährigen Bildungsgang (G9)

- Den Eltern ist die Vermittlung umfassender Bildung mit besserer Vorbereitung auf die Lernformen im Studium und hoher Studierfähigkeit sehr wichtig – unabhängig davon, ob sie das in G8 oder in G9 wünschen.

- Eltern von Kindern am Gymnasium benötigen keine Ganztagesbetreuung und wünschen schon gar keinen gebundenen Ganztag, also kein verpflichtendes Betreuungsangebot über den ganzen Tag.

Die Ergebnisse im Detail:

In vielen Fragen äußern die Eltern überraschend klare Vorstellungen: Von den 17.878 antwortenden Eltern haben über 89% einen klaren (+) bis sehr deutlichen Wunsch (++++) nach einem neunjährigen Bildungsgang (G9) am Gymnasium, 1,5% sind in dieser Frage unentschieden und gut 9% ziehen G8 vor.  Die Aussage der Kultusministerin, die Eltern wären mit dem derzeit angebotenen G8 zufrieden, ist damit klar widerlegt. Die Zustimmungsraten zu G9 sind übrigens bei Eltern nur mit G8-Kindern nahezu genauso hoch wie in der Gesamtbetrachtung einschließlich der G9-Eltern.

Insbesondere G9-BefürworterInnen wünschen sich für ihre Kinder mehr Möglichkeiten zur Betätigung in Vereinen, sei es im Breiten- oder Leistungssport, mit musikalischem oder sonstigem kulturellen bzw. ehrenamtlichem Engagement. Bis zu 33% der starken G9-Befürworter geben an, dass ihre Kinder aus schulischen Gründen nicht oder nur eingeschränkt einer solchen Betätigung nachgehen können, während das bei den G8 Befürwortern nur 4% sind.

Sehr einig sind sich G8 und G9-BefürworterInnen in den Fragen nach Vermittlung einer umfassenden Bildung (98% ist das wichtig.). Auch der Unterschied zwischen den Gruppen bei der Beurteilung der Vermittlung von mehr als zwei Fremdsprachen auf höherem Niveau hält sich in Grenzen: Zwischen 50% und 55% ist das tendenziell oder sehr wichtig, wobei der Anteil derer mit der Aussage „trifft voll zu“ unter den starken G8-Befürwortern mit über 30 % rund 60% höher liegt als unter den starken G9-Befürwortern.

Bei der Frage einer möglichen Umsetzung von G9 sind die gymnasialen Eltern relativ unentschieden: Einer Wahlmöglichkeit für jeden einzelnen Schüler wird nur geringfügig häufiger zugestimmt als der Festlegung auf G8 bzw. G9 für die ganze Schule. Auch die beiden Modelle für die zeitliche Streckung der Schulzeit erhalten über alle Befragten grundsätzlich ähnliche Zustimmungswerte von rund 70%.  Einig sind sich Eltern mit Kindern am Gymnasium in der Frage, ob sie eine ggf. gebundene Ganztagesbetreuung für Ihre Kinder wünschen: Nein!

Deutlich unter 10% der Eltern stimmen zu, wenn es heißt „Ich wünsche mir als zeitliche Organisation den gebundenen Ganztag an allen Schultagen“. Die Möglichkeit inkl. Mittagessen eine Nachmittagsbetreuung in Anspruch nehmen zu können, wünschen ca. 70%, immerhin 30% der Eltern benötigen auch diese Möglichkeit nicht. Eine Nachmittagsbetreuung am Gymnasium ist insgesamt nur 20% der Eltern wichtig.

Fazit: Die Behauptungen des Kultusministeriums, die Eltern der SchülerInnen am Gymnasium seien mit dem G8-Angebot zufrieden, ist falsch. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Auch ein Ganztagesangebot wird nicht wie vom KM vermutet gewünscht. Wichtig sind den Eltern Inhalte wie die Vermittlung einer breiten Bildung wie auch eine gute Vorbereitung auf ein Studium.

Zur Durchführung der Umfrage: Die Arbeitsgemeinschaften der Gymnasialen Elternbeiräte (ARGE) sind die Zusammenschlüsse der Elternbeiratsvorsitzenden der Gymnasien in den jeweiligen Regierungsbezirken Karlsruhe, Stuttgart, Tübingen und Freiburg. Die ARGE tagen regelmäßig und informieren ihre Mitglieder über aktuelle Entwicklungen. Über die Elternbeiratsvorstände bzw. Schulen wurden alle Eltern mit Kind an einem Gymnasium im Oktober 2020 zur Teilnahme an der elektronischen Umfrage eingeladen, die Umfrage wurde am 17. Januar 2021 geschlossen. Da die Teilnahme und Verteilung auf Freiwilligkeit beruht, kann nicht zu 100% davon ausgegangen werden, dass jeder Elternteil die Möglichkeit zur Teilnahme hatte, die hohe Anzahl der teilnehmenden Personen von ca. 20.000 erlaubt uns den Schluss, dass das Meinungsbild fast vollständig ist und mit geringen Abweichungen stellvertretend für alle Eltern von Kindern am Gymnasium steht. Der Fragebogen beinhaltete grundsätzliche Einstellungsfragen, außerdem bestand die Möglichkeit, für die einzelnen Gymnasialkinder zusätzlich Auskunft zu ihrem Freizeitverhalten zu geben. Diese Möglichkeit nahmen rund ein Drittel wahr. Die Summe der Antworten zu den einzelnen Fragen schwankt leicht, da einzelne TeilnehmerInnen die Befragung nicht zu Ende ausgefüllt haben.

Der Philologenverband hat in einer Reaktion die Ergebnisse der Untersuchungen als "Schlag ins Gesicht der Kultusministerin" bezeichnet und die Einführung des neunjährigen Wegs zum Abitur an den öffentlichen Gymnasien des Landes gefordert.

Im Wortlaut heißt es in der Mitteilung des PhV:

„Wann will das Kultusministerium endlich seine Wahrnehmung mit der Realität in Einklang bringen?“ war eine häufige Frage von Elternseite bei der Vorstellung dieser Ergebnisse.„Dies ist ein Schlag ins Gesicht von Kultusministerin Eisenmann, die seit Jahren behauptet, dass die Eltern mit dem derzeitigen achtjährigen Gymnasium zufrieden seien“, kommentiert der Landesvorsitzende des Philologenverbands Baden-Württemberg (PhV BW), Ralf Scholl, die Umfrageergebnisse. „Die Wirklichkeit sieht anders aus, und jedes Frühjahr ist bei der Anmeldung an den Gymnasien zu beobachten: Wo immer eines der G9-Modellgymnasien in erreichbarer Nähe ist, findet eine Abstimmung mit den Füßen statt.“ Die Anmeldezahlen an den G9-Gymnasien sind so hoch, dass häufig Schülerinnen und Schüler abgewiesen werden oder Plätze verlost werden müssen, obwohl es an den allermeisten G9-Gymnasien nur noch ausschließlich G9-Klassen gibt. Das ist nach Einschätzung von Ralf Scholl eine auf Dauer unhaltbare Situation.

Der Philologenverband Baden-Württemberg schlägt als gangbaren Weg aus dieser Situation eine sofortige Umstellung der Klassenstufen 5 bis 10 an den Gymnasien von G8 auf G9 vor, um so allen Schülerinnen und Schülern ein zusätzliches Jahr Lernzeit zu geben – unter Beibehaltung einer G8-Wahlmöglichkeit für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die in der Corona-Zeit keine spürbaren Einbußen hatten.
Ein Wechsel von z.B. Klasse 7 im G8 zu Klasse 8 im G9 bringt ausreichend Zeit, die fehlenden Themen aufzuarbeiten, weil der G9-Plan ja langsamer voranschreitet. So könnten die berechtigten Forderungen der Eltern erfüllt werden: Ein Bildungsplan eines jetzigen G9-Modellgymnasiums könnte problemlos für drei Schuljahre als vorübergehende G9-Grundlage dienen. Bis 2024 müsste dann ein neuer „Mehrwert-G9“-Bildungsplan für alle Gymnasien entwickelt werden."

Diese Sofortmaßnahme sei realisierbar, denn der Einwand, dass es dafür nicht genügend Lehrkräfte gäbe, treffe bei der Schulart Gymnasium nicht zu: Zum einen seien für G9 während der ersten sechs Jahre weniger Lehrkräfte notwendig, da ja in jedem Jahrgang weniger Stunden unterrichtet werden als bei G8, zum anderen würden seit Jahren längst nicht mehr alle gymnasialen Referendare eingestellt.

Der PhV BW rufe deshalb auf: „Gönnt den Schülerinnen und Schülern an den Gymnasien jetzt die notwendige zusätzliche Zeit, damit sie die Chance erhalten, ihre Schullaufbahn erfolgreich fortzuführen und zu beenden! Nehmt endlich den Elternwillen ernst, der auch mit dem Wunsch vieler gymnasialer Lehrkräfte übereinstimmt!“

  .