Arbeitsgemeinschaft Elternbeiräte an Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart

AKTUELLES

Vor "überzogenen Erwartungen" wird gewarnt

Schreiben der ARGE Stuttgart vom 20.Mai 2021:

Sehr geehrte Frau Ministerin,

zu Ihrer Ernennung und zu Ihrem Antritt im Amt der Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg gratuliert Ihnen die Arbeitsgemeinschaft der Gymnasialen Elternvertreter im Regierungspräsidium Stuttgart (ARGE) sehr herzlich. Wir hoffen sehr, dass Ihre Ernennung eine Art Startschuss für die Entwicklung der Schulen im Land bedeutet und damit der langjährige Stillstand in der Bildungspolitik beendet wird.

 Baden-Württemberg ist im März 2020 in allen Schularten mit zu großen Lerngruppen, Unterrichtsausfall, einer deutlichen Lehrkräfte-Unterversorgung und einer jahrelang vernachlässigten Digitalisierung an den Schulen in die Pandemie gegangen. Zu diesen Problemen kam während der Pandemie dann auch noch eine über Monate hinweg aus unserer Sicht falsche Weichenstellung für die Möglichkeit, sichere Schulen für den Unterricht unter Pandemiebedingungen zu schaffen. Leider war die zweimalige komplette Schließung der Schulen die notwendige Konsequenz aus Versäumnissen, die nicht nur die ARGE Stuttgart, sondern so ziemlich alle Elternvertretungen im Land sehr früh schon festgestellt haben. Insofern begrüßen wir ausdrücklich Ihre Erklärung, bei der notwendigen Betreuung von Schüler*innen bei Unterricht unter Pandemiebedingungen künftig nicht mehr nur auf Lehrkräfte der Schulen, sondern auch auf anderes „pädagogisches Personal“ z.B. aus den Hochschulen oder dem Betreuungspersonal der Schulen im Rahmen der Ganztagesbetreuung zurückgreifen zu wollen. Es ist dies aus unserer Sicht der erste Schritt in die richtige Richtung, die wir seit wenigstens September 2020 vom Kultusministerium erwarten. Wir hoffen sehr, dass es nicht der einzige Schritt bleibt.

Für die ARGE Stuttgart ist in den letzten Monaten klar geworden, dass wir auf keinen Fall eine erneute allgemeine Schließung der Schulen hinnehmen werden können, falls diese bei einem neuerlichen Anstieg der Inzidenzzahlen vom Kultusministerium beschlossen werden sollte.

Sie kennen die sehr viel weniger gravierenden „niederschwelligen“ Maßnahmen gegenüber einer allgemeinen Schulschließung, um sichere Schulen auch bei einer eventuellen erneuten Corona-Welle und damit sicheren Unterricht zu garantieren.

 Dazu gehören

-      die Ausstattung der Klassenräume mit Luftfiltern/Lüftern und Plexiglasabtrennungen, um die Problematik der Aerosole wirkungsvoll anzugehen,

-      klare Vorgaben für Hybrid-, Wechsel und/oder Fernunterricht, wenn dieser aufgrund von reduzierten Lerngruppen von den Schulen organisiert werden muss,

-      klare Regeln, Anweisungen und Finanzierung für die Betreuung der Schüler*innen, die im Falle von Hybrid- oder Wechselunterricht nicht am Präsenzunterricht teilnehmen können,

-      zeitversetzter Beginn und unterschiedliches Ende des Unterrichts, um auch den Transport in und von der Schule zu entzerren.

Wir sind überzeugt davon, dass die zweimalige komplette Schließung der Schulen und damit das mehrmonatige Verwehren des verfassungsmäßig und einfachrechtlich garantierten Rechts auf Bildung (s. dazu insbesondere auch die UN-Kinderrechtskonvention) mit diesen seit wenigstens September 2020 geforderten Maßnahmen hätte verhindert werden können. Im Fall einer erneut drohenden Schulschließung behalten wir uns vor, diese auch gerichtlich überprüfen zu lassen.

 Wir wissen alle, mit welchen enormen Problemen unsere Kinder während der eineinhalbjährigen Bildungs-(Fast-)Zwangspause gekämpft haben. Und wir wissen, wie schwer es die jetzigen Schuljahrgänge haben werden, das in zahlreichen Studien belegte und nicht zuletzt durch das Zwei-Milliarden-Euro-

„Nachhilfe“-/Aufholpaket der Bundesregierung bestätigte Lerndefizit aufzuholen. Um dieses schul- und lerngruppenspezifisch feststellen zu können, halten wir eine schnellst-mögliche landesweite und schulunabhängige Lernstandserhebung für selbstverständlich.

 Wir gehen davon aus, dass Baden-Württemberg den Aufholprozess nach der Pandemie auch dadurch unterstützt, dass Bildungsausgaben als wichtigste Form der Wirtschaftsförderung betrachtet wird und allen Beteiligten an den Schulen ein störungsfreier und dem digitalen Standard des 21.Jahrhunderts entsprechender datenschutzkonformer Unterricht garantiert wird.

 Selbstverständlich hat niemand die Folgen der Pandemie im März 2020 auch nur im Ansatz voraussehen können. Insofern sind auch viele aus heutiger Sicht falschen Maßnahmen nachvollziehbar oder auch verständlich. Sie wären aber unentschuldbar und von uns auch auf keinen Fall hinnehmbar, wenn dieselben Fehler ein zweites Mal begangen würden und erneute Schulschließungen aufgrund fehlender Vorbereitungsmaßnahmen notwendig würden. Auf diese Vorbereitungsmaßnahmen wollten wir Sie mit diesem Brief aufmerksam machen.

Wir würden sehr gerne den Dialog mit Ihnen aufnehmen und gerne auch von Ihnen erfahren, wie wir alle die schon vor der Pandemie bekannten Defizite im baden-württembergischen Bildungssystem aufholen können. Wir würden auch sehr gerne von Ihnen erfahren, wie die Elternvertretungen dabei helfen können. Wir sind die gewählten Elternvertretungen der Kinder, die aktuell in den Schulen sind. Wir können nicht darauf warten, dass irgendwann in ferner Zukunft heute verkündete Bildungspläne z.B. über zusätzliche Lehramtsstudienplätze, die aktuellen Entfallzahlen abbauen. Bitte verstehen Sie deshalb, warum wir nach vielen Jahren des Wartens am Ende unserer Geduld angekommen sind.

 Wir freuen uns über Ihre Antwort.

 Mit besten Grüßen   Michael Mattig-Gerlach, Thomas Brauer, für den Vorstand der ARGE Stuttgart

Antwort der Ministerin vom 20.Juli 2021: 

  Sehr geehrter Herr Mattig-Gerlach, sehr geehrter Herr Brauer,

ich danke Ihnen herzlich für Ihr Schreiben vom 20.Mai sowie vom 22.Juni 2021. Über Ihre guten Wünsche für mein Amt als Kultusministerin habe ich mich sehr gefreut.

Die vor uns liegenden Aufgaben im Bildungsbereich sind - wie Sie in Ihrem Schreiben zu Recht betonen - gewaltig. In den kommenden Wochen und Monatenwird es vor allem darum gehen, die entstandenen Lernrückstände bei den Schülerinnen und Schülern abzubauen und deren sozial-emotionale Stabilität wiederherzustellen. Am 01.Juni 2021 stimmte der Ministerrat Baden-Württemberg dem auf zwei Jahre angelegten Förderprogramm "Lernen mit Rückenwind - Ausgleich pandemiebedingter Lernrückstände bei Schülerinnen und Schülern" im Rahmen des Bund-Länder-Akionsprogramms "Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche" zu. Das Kultuskinisterium bereitet derzeit den Start des Förderprogramms "Lernen mit Rückenwind" zu Beginn des Schuljahres 2021/22 für die allgemeinbildenden und die beruflichen Schulen vor. In Planung sind drei zentrale BEreiche zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen. Dazu gehören der Abbau von LErnrückständen, die Förderung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen an Schulen durch Stärkung der Schulsozialarbeit sowie die Flankierung der Maßnahmen durch gezielte Angebote der außerschulischen Jugendarbeit, der Kinder- und Jugendhilfe und Kinder- und Jugendfreizeiten.

Die fachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler sollen ausgehend vom diagnostizierten Lernstand mit spezifischen Förderangeboten gestärkt werden.In den errsten Schulwochen sollen Lehrkräfte den individuellen Lernstand ihrer Schülerinnen und Schüler erheben und den pandemiebedingten Förderbedarf identifizieren. Das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) stellt den Lehrkräften dafür zur Unterstützung eine Reihe von diagnostischen Verfahren zur Verfügung. Orientierungshilfen sowie Diagnose- und Testinstrumente zur Lernstandserhebung für die Fächer Deutsch, MAthematik und Englisch für alle Klassen- und Niveaustufen der allgemein bildenden Schulen werden teilweise schon jetzt auf den Internetseiten des IBBW zum Download bereitgestellt. Besonders im Fokus steht die Förderung basaler Kompetenzen, für die den Schulen geeignete Lernmaterialien vom Zentrum für Sculqualität und Lehrerbildung (ZSL) zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus ist die Stärkung sozial-emotionaler Kompetenzen von großer Bedeutung. Es ist angedacht, Förderangebote sowohl integrativ als auch additiv anzubieten.

Neben einer Schwerpunktsetzung in den für die Schulwegeentscheidung relevanten Klassenstufen, sollen überdies auch die sogenannten Risikoschülerinnen und -schüler in allen Klassenstufen in angemessener Weise berücksichtigt werden.

Sie können davon ausgehen, dass mir das Aufholen von pandemiebedingten Lerndefiziten der Schülerinnen und Schüler am Herzen liegt und das Kultusministerium alles dafür tut, um diese bestmöglich zu unterstützen. Weitere Informationen zum geplanten Förderkonzept werden zu gegebener Zeit auf unserer Homepage  www.lernen-mit-rueckenwind eingestellt.

Seien Sie bitte versichert, dass auch aus meiner Sicht der Unterrichtsbetrieb in der Präsenz an den Schulen des Landes für die Schülerinnen und Schüler größte Bedeutung hat. Der Präsenzunterricht ist weder im Hinblick auf den LErnerfolg noch auf die notwendigen Sozialkontakte durch einen Fernunterricht hinreichend zu ersetzen. Gerne möchte ich nun im Folgenden auf ihre Punkte "Luftreinigungsgeräte" und "gestaffelter Unterrichtsbeginn zur Entzerrung der Schülerbeförderung" eingehen.

Aufgrund der Ausnahmesituation in Bezug auf SARS-CoV-2-Pandemie wurden die öffentlichen und privaten Schulen in Baden-Württemberg 40 Mio.Euro als schulbezogene Budgets zur Verfügung gestellt. Daraus können die Schulen Digitalisierungsmaßnahmen finanzieren oder Investitionen und Betriebsaufwände für raumlufthygienische Maßnahmen zur Gesunderhaltung an Schulen tätigen. Letzteres gilt insbesondere für CO2-Sensoren, mobile Luftreinigungsgeräte oder andere geeignete technische Anlagen, die das regelmäßige Lüften unterstützen oder einen ausreichenden Luftaustausch sicherstellen, vorrangig in Klassen- und Fachräumen, die nicht ausreichend durch gezieltes Fensteröffnen oder durch eine raumlulfttechnische Anlage gelüftet werden können. ZTu beachten ist dabei, dass die Entscheidung, wofür die Mittel eingesetzt werden sollen, Sache der Schulträger bzw der Schulen ist. Hier macht das Land keine Vorgaben, da es sich um eine sächliche Ausstattung der Schulen handelt. Die 40 Mio. Euro sind im Zuge des Corona-Hilfspakets des Landes eine freiwillige Maßnahme.

Zusätzlich wird nun ein Förderprogramm mit einem Gesamtvolumen von 60 Millionen Euro für die Schulen aufgesetzt, um die Anschaffungen von CO2-Sensoren oder mobilen Raumluftfiltergeräten mit einem Landesanteil von 50 Prozent zu fördern. Dies gilt für Anschaffungen für Räume der Klassenstufen 1 bis 6 sowie für schlecht lüftbare Räume. Die verbleibenden 50 Prozent der Kosten muss in diesen Fällen der Träger übernehmen. Derzeit wird hierzu in Absprache mit den Trägerverbänden und den beteiligten Ministerien eine Förderrichtlinie erarbeitet. Die Umsetzung soll ab dem kommenden Schuljahr möglich sein. Ein vorgezogener Maßnahmenbeginn soll ab dem 1.Mai 2021 eingeräumt werden. Dann können auch Beschlüsse und Anschaffungen berücksichtigt werden, wenn sie vor dem Zeitpunkt liegen, zu dem die einschlägige Förderrichtlinie erlassen wird.

Zudem fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bereits auf der Grundlage der Richtlinie für die Bundesförderung "Corona-gerechte stationäre raumlufttechnische Anlagen" die Um- und Aufrüstung sowie den Neubau stationärer raumlufttechnischer Anlagen für Einrichtungen für Kinder unter 12 Jahren. Neben Horten und Kindertageseinrichtungen können auch die Träger allgemeinbildender Schulen in öffentlicher und freier Trägerschaft die Förderung beantragen. Der Bund trägt dabei 80 Prozent der förderfähigen Kosten. Bei Um- sowie Aufrüstungen ist die Förderung auf maximal 200.000 Euro pro raumlufttechnische Anlage begrenzt. Bei Neubaumaßnahmen beträgt die Förderobergrenze 500.000 Euro. Geförderte Maßnahmen sind in diesem Programm innerhalb von 12 Monaten umzusetzen. Dieses Förderprogramm gestaltet der Bund nun  insowqeit um, als auch mobile Raumluftfiltergeräte für Klassenzimmer in eingeschränkt lüftbaren Räumen der Klassen 1-6 gefördert werden. Von den hierfür vorgesehenen 200 Millionen Euro bundesweit wird Baden-Württemberg 26 Millionen Euro vom Bund erhalten.

Allerdings muss bedacht werden, dass von Fachleuten, auch vom Umweltbundesamt hier immer wieder vor überzogenen Erwartungen gewarnt wird. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass die Luftfilteranlagen das regelmäßige Lüften von Klassenzimmern, die Abstandsregeln udn das Tragen von Schutzmasken nicht ersetzen können.

Die Schulen im Land haben sich frühzeitig mit der Problematik eines gestaffelten Unterrichtsbeginns befasst. Schon Anfang des Jahres wurde unter Federführung von Verkehrsministerium und Kultusministerium ein runder Tisch Schülerverkehr eingerichtet, der sich der Problematik angenommen hat. Daran waren Sprecherinnen und Sprecher allgemeinbildender und beruflicher Schulen beteiligt. Wichtig ist dabei, sowohl die Unterrichtsorganisation als auch den Schülertransport im Blick zu behalten. Dies muss vor Ort organisiert werden. Federführend für die Umsetzung zuständig sind hier die kommunalen Aufgabenträger, also die Stadt- und Landkreise.

In Absprache mit den kommunalen Partnern hat das Kultusmnisterium die geschäftsführenden Schulleitungen über die Schulaufsichtsbehörden gebeten, sich an entsprechenden Verkehrsplanungen auf regionaler Ebene zu beteiligen. Dazu wurden Best-Practice-Beispiele an die Schulaufsichtsbehörden verschickt, die diese den geschäftsführenden Schulleitungen überlassen haben. Sie sollen Grundlage für die Gespräche zwischen den kommunalen Aufgabenträgern und den Schulen sein, damit vor Ort frühzeitig angemessene LÖsungen gefunden werden können.

Für ihr Engagement zum Wohle unserer Schülerinnen und Schüler danke ich Ihnen und freue mich sehr auf den weiteren Austausch mit Ihnen.

Mit freundlichen Grüßen

 Theresa Schopper