ARGE Klausurtagung: Einigkeit bei den Elternvertreter von über 400 Gymnasien im Land
Die Erwartungen an die gemeinsame Klausurtagung der Arbeitsgemeinschaften der Elternvertretungen an den öffentlichen Gymnasien im Land waren nicht durchweg hoch. Dazu waren die Diskussionen bei der letzten Tagung vor einigen Jahren zu kontrovers. Nun, in Ludwigsburg, allerdings waren die Voraussetzungen völlig anders: Das Problem des Unterrichtsausfalls an allen Schulen im Land und besonders an den Gymnasien betrifft alle, ebenso die völlig unzureichende Umsetzung des in der Landesverfassung und im Schulgesetz garantierten Rechts auf Lernmittelfreiheit. Beide Themen werden seit Jahren in den Mitgliederversammlungen mit zunehmender Gereiztheit der ARGE-Eltern diskutiert. Der Satz: "So kann es nicht weitergehen!" wird ausnahmslos zwischen Bodensee und Neckar unterschrieben.
Die Erhebung der ARGE Stuttgart zum Thema Unterrichtsausfall an den Gymnasien in den ersten neun Wochen dieses Jahres hat neue Tatsachen geschaffen. Seitdem bestreiten selbst die Schulbehörden einschließlich des Kultusministeriums nicht mehr das erschreckende Ausmaß des Unterrichtsausfalls. Lediglich über die Wertung des Vertretungsunterrichts wird noch kontrovers diskutiert. Die ARGE Stuttgart bilanzierte auf ihrer Landespressekonferenz im Juli bereits, dass den Schülerinnen und Schülern des Landes in ihrer Schulkarriere ein ganzes Jahr durch Unterrichtsausfall wegbreche. Ein im Juli gemeinsam formulierter offener Brief an die Kultusministerin blieb ohne Empfangsbestätigung oder anderer Reaktion des Ministeriums, sieht man einmal davon ab, dass die Ministerin sehr wohl im Zeitungsinterview alle damals erhobenen Forderungen der ARGEn rundweg ablehnte. Nach der zweiten Landespressekonferenz mit der Erwägung einer Klage gegen das Land veränderte sich indessen das Schweigen im Kultusministerium. Nun liegt ein Gesprächsangebot für die Elternvertreter am 15.November vor. Und dieses Gesprächsangebot wollen alle ARGEn im Land gemeinsam für eine starke Demonstration der Einigkeit der Elternvertreter nutzen.
Dazu allerdings mußten erst einmal die Ideen, Standpunkte und Forderungen der Elternvertretungen zwischen Bodensee und Neckar, Alb und Rhein zusammengetragen und diskutiert werden. Genau das leistete die Klausurtagung in Ludwigsburg.
Im Detail: Der Vorsitzende des Landeselternbeirates und der ARGE Freiburg, Carsten Rees, hatte möglicherweise Erfreuliches in Sachen Lernmittelfreiheit nach Ludwigsburg mitgebracht. Demnach wird es Anfang des Jahres 2019 eine gemeinsame Handreichung zur Umsetzung der Lernmittelfreiheit vom Kultusministerium, dem Landeselternbeirat und der Kommunalverbände geben. Auf diese gemeinsame Handreichung würden sich in Zukunft die Elternvertretungen und die Schulen gegenüber den Schulträgern berufen können, wenn es darum geht, die Zuweisungen für Lernmittel den Erfordernissen an den Schulen anzupassen. Ein wichtiger Nebeneffekt: Elternvertreter werden sich in den Schulkonferenzen ebenfalls auf diese Handreichungen berufen können. Ob dadurch beispielsweise die für den neuen Bildungsplan zusätzlich erforderlichen Finanzmittel in den Schulbudgets endlich auftauchen, wird abzuwarten bleiben. Ebenso abzuwarten bleibt, welche Details genau für die Zuweisungen für Lernmittel geregelt werden.
Eine ausführliche Diskussion führten die ARGE-Elternvertreter über die "lächerlich geringen Investitionen" des Landes in die Bildung. Dass in der Pro-Kopf-Investition in die Bildung Baden-Württemberg inzwischen auf den hintersten Plätzen aller Bundesländer angekommen ist - sozusagen der VfB unter den Bundesländern - ist schon schlimm genug.
- Dass gleichzeitig Steuerquellen überfließen, eins-Komma-fünf Milliarden Euro im letzten und in diesem Jahr in die Schuldentilgung fließen,
- gleichwohl so gut wie kein zusätzlicher Euro in den Schulen ankommt, um beispielsweise den Bestand an Lehrerstellen auszubauen,
- dass lediglich Pensionierungsersatz statt neuer Lehrerstellen festzustellen ist,
- dass Investitionen in die Bildung lediglich in der Veränderung von Studiengängen an den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen bekannt werden,
- dass dadurch folglich eine Veränderung der miserablen Unterrichtsversorgung fühestens in fünf bis sieben Jahren in der Schulrealität ankommen und
- dass von den bisherigen Neuerungen des Bildungsministeriums im laufenden Schuljahr keine einzige Maßnahme die aktuelle Unterrichtsversogung gegenüber dem Vorjahr verbessern wird,
das waren sehr schnell gefundene gemeinsame Erkenntnisse der Klausurteilnehmer.
Die Forderungen aus dem offenen Brief vom 17.Juli an die Kultusministerin wurden in gemeinsamer Diskussion präzisiert:
Mindestens 110-prozentige Unterrichtsversorgung für die Schulen des Landes durch zusätzliche Planstellen für das Kultusministerium, finanziell abgesichert im Landeshaushalt.
Ende der Entlassung von Referendaren nach dem 2.Staatsexamen. Bezahlung während der Sommerferien statt Wiedereinstellung zum ersten Schultag des neuen Schuljahres.
Springerverträge für jeweils ein Schuljahr (einschließlich der Ferien) für examinierte Lehrer. Entsprechende landesweite Einteilung in örtliche Bereiche. Begünstigung für die Einstellung in den Schuldienst nach Absolvieren eines „Springerdienstes“.
Einstellung von Quereinsteigern mit entsprechender beruflicher Qualifizierung und zeitlichen Kapazitäten.
Auch zur Frage der schulpolitischen Situation der Gymnasien im Land fanden die Klausurteilnehmer schnell einen gemeinsamen Nenner und formulierten:
Die Elternvertretungen der Arbeitsgemeinschaften der öffentlichen Gymnasien in Baden-Württemberg sind sich darin einig, dass das derzeit praktizierte G8-Bildungssystem die bei der Einführung geäußerten Erwartungen an den meisten Schulstandorten nicht erfüllt hat. Daraus leiten die ARGEn des Landes die Forderung nach dem Beginn einer schulpolitischen Diskussion für Baden-Württemberg ab, an deren Ende ein gymnasiales System steht, das nicht nur der Entwicklung der Schülerinnen und Schüler, sondern auch den Anforderungen der Gesellschaft Rechnung trägt.
Als Grundproblem für die bildungspolitische Situation in Baden-Württemberg wurde schließlich erkannt:
Solange in Baden-Württembeg nicht die Bereitschaft bei Politikern, Landesregierung und Behörden besteht, für Bildung mehr Geld in die Hand zu nehmen, wid sich an der katastrophalen Bildungssituation im Land nichts ändern.
Die ARGEn im gesamten Land, und damit die Elternvertreter von über vierhundert Gymnasien sind fest dazu entschlossen, gemeinsam den Druck so zu erhöhen, dass die Entscheidungsträger nicht länger umhin können, diesem Druck nachzugeben. Es sind die Elternvertreter jener Schülerinnen und Schüler, denen derzeit durch die Unterrichtssituation ein ganzes Schuljahr gestohlen wird, und die Eltern jener Schülerinnen und Schüler, die nicht darauf warten wollen und können, dass bildungspolitische Maßnahmen an den Universitäten und Hochschulen in fünf bis sieben Jahren in der schulischen Realität ankommen.