Arbeitsgemeinschaft Elternbeiräte an Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart

AKTUELLES

Positionen des Philologenverbandes zu cloud-basierter Software in der Schule

Beschluss des Landesvorstandes des Philologenverbandes Baden-Württemberg vom 22.September 2020:

1) Datenschutz und Schutz der Persönlichkeitsrechte

 Software-Anwendungen und digitale Lernplattformen können nur für Unterrichtszwecke verwendet werden, wenn der Datenschutz und der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Schüler und Lehrer nach europäischem Recht gewährleistet ist. Soweit personenbezogene Daten verarbeitet, übertragen und gespeichert werden, müssen die entsprechenden Server in Europa stehen und gemäß der DSGVO betrieben werden.

 Software-Produkte von Anbietern, die aufgrund ihrer Produktpolitik oder auch der Rechtslage im Land ihres Firmensitzes die DSGVO-Konformität ihrer Produkte nur eingeschränkt garantieren können, sind grundsätzlich problematisch. So können die Standards der DSGVO z. B. von der Firma Microsoft für das Produkt „Office 365“ nach Einschätzung einer Reihe von Landesdatenschutzbeauftragten nicht komplett erfüllt werden, da von der Software regelmäßig eine vom Nutzer nicht gänzlich zu kontrollierende oder zu unterbindende Übertragung von Telemetriedaten an die Firma Microsoft stattfindet. Außerdem scheint nach dem Ende des Abkommens "Privacy Shield" und angesichts der mit der DSGVO  unvereinbaren US-Gesetzgebung („Cloud Act“) ein DSGVO-konformer Datenschutz bei der Nutzung von Cloud-Angeboten US-amerikanischer Anbieter bis auf Weiteres grundsätzlich problematisch oder gänzlich unmöglich.

Nicht umsonst ist der baden-württembergischen Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann am 18. September 2020 der BigBrotherAward 2020 in der Kategorie „Digitalisierung“ verliehen worden, weil sie wesentliche Dienste der Digitalen Bildungsplattform des Landes von Microsoft betreiben lassen will, siehe https://bigbrotherawards.de/2020/digitalisierung-bildungsministerin-baden-wuerttemberg-susanne-eisenmann.[1]

 2) Medienbildung im Sinne persönlicher digitaler Autonomie

 Im Rahmen der Medienbildung künftiger Generationen ist es nicht Aufgabe allgemeinbildender Schulen, die Schüler in der Nutzung von Produkten eines bestimmten kommerziellen Anbieters zu schulen. Schulen müssen vielmehr im Sinne der Kompetenzorientierung die Fähigkeit zu vermitteln, sich in die Nutzung beliebiger digitaler Anwendungen einzuarbeiten und diese sinnvoll zu nutzen.

Im Sinne der Vermittlung von persönlicher Software-Autonomie sollten die Schüler im Unterricht außerdem befähigt werden, nicht nur kommerzielle Produkte von Marktführern, sondern auch alternative, freie Softwareprodukte, die unbeschränkt verfügbar sind, zu nutzen, z. B. freie Software wie LibreOffice als Bürosoftwarepaket, Big Blue Button als Videokonferenzlösungen, Moodle oder Nextcloud als virtuelle Lernumgebungen. Nur so werden Schüler befähigt, ihre bevorzugte Software später autonom wählen zu können.

 Kommerzielle Software digitaler Großkonzerne ist keinesfalls alternativlos. Es gibt deutsche bzw. EU-Unternehmen, die in der Lage sind, den Schulen eines ganzen Bundeslandes kurzfristig entsprechende Bürosoftware und Lernumgebungen in einer europäischen DSGVO-konformen Cloud zur Verfügung zu stellen. Beispielhaft könnte hier die Firma Mailbox.org genannt werden, die das Land Thüringen kurzfristig ausrüsten konnte (https://mailbox.org/de/pressemitteilung-bildungsministerium-thueringen), oder die HPI-Schul-Cloud des Landes Brandenburg (https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/themen/medienbildung/schulorganisation/pilotierung-schul-cloud-brandenburg.

 Und entsprechende Open-Source-Lösungen für Baden-Württembergs Schulen gibt es auch schon: In der Corona-Krise hatte sich das Kultusministerium noch selbst dafür gelobt, den Schulen mit Moodle (Lernplattform), Big Blue Button (Videokonferenzen) und Threema (Messenger) datenschutzkonforme Lösungen für den digitalen Fernunterricht zur Verfügung gestellt zu haben, siehe https://km-bw.de/,Lde/Startseite/Service/2020+06+22+Big+Blue+Button+und+Fortbildungsangebote?QUERYSTRING=moodle.

 Die schulische Medienentwicklung kann und sollte also vornehmlich auf alternative IT-Infrastrukturen setzen, die datenschutzkonform sind und Emanzipation, Autonomie und digitalen Selbstbestimmung befördern. Hierzu hat Dr. Ralf Lankau, Professor für Mediengestaltung und Medientheorie an der Hochschule Offenburg, ein umfassendes Konzept vorgelegt, siehe http://futur-iii.de/wp-content/uploads/sites/6/2020/09/lankau_flugschrift_alternativen.pdf.

3) Digitale Souveränität

 Ein Bundesland wie Baden-Württemberg oder ein Staat wie die Bundesrepublik Deutschland müssen im Sinne der staatlichen Aufgabe der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge auf zukunftsfähige, dauerhaft verfügbare systemrelevante Netzwerk-, Software- und Cloud-Lösungen setzen. Ein Bundesland oder ein Staat darf sich also weder in der öffentlichen Verwaltung noch im Bildungswesen von einem Cloud-Angebot abhängig machen, über das es nicht mit voller digitaler Souveränität selbst dauerhaft sicher verfügen kann.

 Derzeit ist  z. B. nicht mehr auszuschließen, dass ein US-Präsident die Abschaltung, die Drohung mit der Abschaltung oder die Nutzungseinschränkung bezüglich us-amerikanischer Cloud-Produkte als politisches Druckmittel gegen Staaten einsetzt. Dies hat der Handelskrieg zwischen China und den USA  und das Verbot für die chinesische Firma Huawei gezeigt, Google-Software für ihre Mobiltelefone zu verwenden. Der Konflikt zwischen Deutschland und den USA um die Gas-Pipeline „North-Stream“ hat kürzlich wieder gezeigt, dass die USA durchaus bereit sind, im Streitfall Sanktionen gegen Bündnispartner zu verhängen. Deshalb versucht der Deutsche Bundestag nach Medienberichten intensiv, mittelfristig die eigene Abhängigkeit von MS Office 365 zu reduzieren, vgl. https://www.heise.de/news/Digitale-Souveraenitaet-c-t-uplink-34-3-4885414.html.

 Öffentliche Gelder sollten vornehmlich in öffentliche Güter investiert werden, die der Allgemeinheit zugutekommen. Deshalb erscheint es sinnvoll, öffentliche Gelder, soweit wie möglich, nicht für die Anschaffung kommerzieller Software privater Anbieter zu verwenden, sondern in öffentliche Güter zu investieren, also in die Anpassung, Nutzung und Weiterentwicklung von Open-Source-Software, die für die Allgemeinheit frei und dauerhaft verfügbar ist.

4) Forderungen

Im Schulbereich müssen Datenschutz und der Schutz der Persönlichkeitsrechte bei der Nutzung von IT-Produkten sichergestellt werden, sodass nur unzweifelhaft DSGVO-konforme digitale Anwendungen eingesetzt werden können.

Außerdem muss in der Schule eine Medienbildung betrieben werden, die den Schülern im Softwarebereich Wahlmöglichkeiten eröffnet und so persönliche digitale Autonomie vermittelt.

 Das staatliche Bildungswesen darf sich außerdem nicht von digitalen, cloud-basierten Anwendungen oder Plattformen abhängig machen, über die der Staat im Sinne digitaler Souveränität nicht dauerhaft, zuverlässig und souverän verfügen kann.

 Öffentliche Gelder sollten schließlich vornehmlich in öffentliche Güter investiert werden. Deshalb sollte im Bildungsbereich verstärkt Open-Source-Software eingesetzt werden, also frei verfügbare Software, die auf schulischen oder bzw. staatlichen Servern DSGVO-konform betrieben werden kann.

 

Beschlossen vom Landesvorstand des PhV BW am 22. September 2020



[1]     Alle in diesem Text erwähnten Internetlinks wurden am 21.09.2020 aufgerufen.