Arbeitsgemeinschaft Elternbeiräte an Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart

RECHT UND GESETZ

Rechtsgutachten zu Rechtsschutzmöglichkeiten gegen den Unterrichtsausfall an einzelnen Gymnasien

Nachstehend der Wortlaut des im Auftrag der ARGE Stuttgart erstellten "Rechtsgutachten zu Rechtsschutzmöglichkeiten gegen den Unterrichtsausfall an einzelnen Gymnasien in Baden-Württemberg"

Inhaltsverzeichnis
 Vorbemerkung ........................................................................................................................................... 5
 Rechtsgutachten ....................................................................................................................................... 6
I. Der Unterrichtsausfall an einzelnen Gymnasien in Baden-Württemberg ................................................ 6
1. Die Statistik des Kultusministeriums ...................................................................................................... 7
a) Gymnasien besonders stark vom Unterrichtsausfall betroffen ............................................................... 7
b) Unterrichtsvertretungen einem Unterrichtsausfall gleich zu setzen ............................ ...........................8
c) Zur Interpretation der Unterrichtsausfall-Statistiken ..................................................... ..........................8
d) Zwischenfazit: Schulausfälle führen zu Verkürzung der gymnasialen Schulzeit um ein Jahr ..................................................................................................................................................................... 9
2. Der Unterrichtsausfall nach der Umfrage der ARGE Stuttgart ........................................... .....................9
3. Der Unterrichtsausfall eines potentiellen Klägers mit Exkurs zu Unterrichtsausfall an anderen Gymnasien .......................................................................................................................... .........................................10
a) Unterrichtsausfall eines potentiellen Klägers in Südbaden im Schuljahr 2018/19 .. ..............................10
b) Unterrichtsausfall zweier potentieller Kläger in der Stuttgarter Region .................... .............................11
c) Zwischenfazit: Unterrichtsausfall in einzelnen Kernfächern von 20 % und mehr .................................. 12
4. Folgen des Unterrichtsausfalls ............................................................................................................... 12
a) Gravierende Defizite beim Ausschöpfen des individuellen Bildungspotentials und der Bildungsressourcen ................................................................................................................ ....................................................12
b) Insbesondere ein Verstoß gegen die Chancengleichheit bei Unterrichtsausfall in Klassen vor dem Abitur .................................................................................................................................................................... 13
c) Folgen für den potentiellen Kläger ................................................................................. ........................14
aa) Diskriminierung bei der Ausschöpfung des durch den Schulunterricht zur Entfaltung gebrachten Leistungspotentials ............................................................................... ....................................................................................14

 
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bb) Widerlegung möglicher Einwände ...................................................................................................... 15
cc) Vergabe der Studienplätze nach der Abiturbestennote ....................................................................... 16
dd) Zumutbare Korrekturmöglichkeiten im Zulassungsverfahren zu einem Studiengang? ................................................................................................................................................................... 18
II. Verfassungsrechtliche Garantie eines hinreichenden und im Umfang  für alle Schüler im Wesentlichen gleichen Unterrichts ...................................................................................................... .............................................................19
1. Das Recht der Schüler auf Bildung ......................................................................................... ..............19
a) Verfassungsrechtlicher Schutz eines Rechts auf Bildung ..................................................................... 19
b) Recht auf gleiche Persönlichkeitsentfaltung im Bereich der Bildung ........................ .............................20
c) Adressaten des Anspruchs auf gleiche Persönlichkeitsentfaltung im Bereich der Bildung ........................................................................................................................................... ..........................22
2. Vom Anspruch auf Erteilung von Unterricht in gleicher Weise entsprechend den Stundenplänen zum Anspruch auf chancengleichen Zugang zum Hochschulstudium ....................................................................................................................................... 22
a) Strikte Beachtung des Gleichheitssatzes bei rechtlich geregelten staatlichen Leistungsangeboten ...................................................................................................................... ................................................23
b) Rechtliche Regelung des Unterrichts an Gymnasien ............................................................................... 25
c) Obergrenzen des Unterrichtsausfalls: Gleichheitswidrigkeit und Unzumutbarkeit ....................................26
d) Voraussetzungen von Unterricht in Abweichung vom Stundenplan ........................ .................................28
3. Zur Bestimmung der Obergrenze eines gleichheitswidrigen und infolgedessen unzumutbaren Unterrichtsausfalls .................................................................................................. .....................................................................29
a) Ernsthafte Befürchtung von Auswirkungen auf Abiturnote ....................................................................... 30
b) 8 %-Grenze jedenfalls in Abiturfächern .................................................................................................... 30
4. Ergebnis .................................................................................................................................................... 31
III. Keine hinreichenden Maßnahmen zur Verminderung des Unterrichtsausfalls ..................... ....................32

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1. Verpflichtung der Gymnasien zu organisatorischen Maßnahmen zur Verhinderung von Unterrichtsausfall .............................................................................................................................. ..........................................32
2. Lange Zeit keine Reaktion des Landes bzw. des Kultusministeriums auf den zunehmenden Unterrichtsausfall an Gymnasien .......................................................................... ..............................................................................................33
3. Geringschätzung der Korrelation von Abbau von Lehrerstellen und Unterrichtsausfall ..............................34
4. Keine wirklichen Probleme bei der Einstellung von Lehrern ............................................. ..........................35
5. Keine ausreichende Lehrerreserve für den Unterrichtsaufall an Gymnasien .............................................. 35
6. Verfehlte Regelung für die Einstellung von Vertretungskräften ........................................ ...........................36
7. Forderungen der ARGEs der Regionen Baden-Württembergs.......................................... ..........................37
 Prozessuale Fragen und Empfehlung zum weiteren Vorgehen ..................................................................... 38
 
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Vorbemerkung
Der Unterrichtsausfall an einzelnen Gymnasien in Baden-Württemberg ist zu einem Politikum geworden.  
Mehrere Landtagsanfragen kritisieren mittlerweile den Unterrichtsausfall als unzumutbar. In der Presse wird hierüber ausführlich berichtet. Die Kultusministerin musste Elternvertretern Rede und Antwort stehen. Die ARGE Stuttgart hat mit Zustimmung des Kultusministeriums den Unterrichtsausfall in der Stuttgarter Region erhoben und besorgte Eltern führen über den Unterrichtsausfall mittlerweile Buch.
Das folgende Rechtsgutachten wendet sich der Frage zu, ob der derzeitige Unterrichtsausfall an einzelnen Gymnasien das Recht der Schüler auf einen dem Bildungs- und Stundenplan entsprechenden und in gleichem Umfang anzubietendem Unterricht verletzt. Die Frage soll vor dem Hintergrund eines möglichen Musterklageverfahrens geprüft werden. Denn die seit längerem erhobenen Forderungen der Auftraggeberin (dazu unter B.III.8.), der Arbeitsgemeinschaft gymnasialer Elternvertreter im Regierungsbezirk Stuttgart (ARGE Stuttgart), werden nach ihrem Eindruck nicht beachtet, so dass als letzter Ausweg aus Sicht der ARGE Stuttgart nur noch ein Rechtsstreit verbleiben könnte. Daher wird im Folgenden auch auf einen konkreten Fall eingegangen, der sich möglicherweise für ein solches Musterklageverfahren eignen könnte.  
Um das allgemeine Anliegen des Rechtsgutachtens zu verdeutlichen, wird zunächst in einem ersten Abschnitt der Unterrichtsausfall an den Gymnasien Baden-Württembergs insgesamt an Hand der den Verfassern vorgelegten Statistiken dokumentiert (dazu unter B.I.1. und 2.).  
Vor dem Hintergrund eines in den letzten Jahren stetig ansteigenden Unterrichtsausfalls wird der Ausfall eines potentiellen Klägers der Klasse 10 an einem Gymnasium in Südbaden seit Beginn des Schuljahres 2018/2019 mit einer Ergänzung zum Unterrichtsausfall von potentiellen Klägern an anderen Gymnasien dargelegt (dazu unter B.I.3.).  
Darauf aufbauend ist den Folgen des Unterrichtsausfalls für die potentiellen Kläger nachzugehen (dazu unter B.I.4.).

 
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Im zweiten Abschnitt werden dann zunächst Verfassungsfragen eines Rechts auf Bildung (dazu unter B.II.1.) angesprochen, um sodann ein Recht auf die Erteilung von Unterricht in gleicher Weise entsprechend den Stundenplänen (dazu unter B.II.2.) zu begründen.  
Der Schwerpunkt der Überlegungen zur Pflicht des chancengleichen Unterrichts liegt auf dem Junktim vom Recht auf Gleichheit im Unterricht sowie dem Recht auf chancengleichen Zugang zum Hochschulstudium und zur Berufsausbildung. Das Recht auf Gleichheit im Unterricht verlangt nicht, dass nicht ab und an einzelne Unterrichtsstunden ausfallen dürften. Zu bestimmen ist vielmehr der nicht mehr zumutbare und damit unverhältnismäßige Unterrichtsausfall (dazu insbesondere unter B.II.2.c)).  
Die konkrete Bestimmung der Obergrenze eines gleichheitswidrigen und infolgedessen unzumutbaren Unterrichtsausfalls erfolgt unter B.II.3.).
Was nicht möglich ist, kann allerdings rechtlich auch nicht durchgesetzt werden. Den einen oder anderen Unterrichtsausfall kann man nicht verhindern. Was aber zu verlangen ist: Vom Kultusministerium und den Gymnasien ist alles zu veranlassen, was einen übermäßigen Unterrichtsausfall verhindern kann. Dies ist allem Anschein nach bislang noch nicht hinreichend geschehen (dazu unter B.III.).
In Teil C. skizzieren wir schließlich die prozessualen Möglichkeiten und empfehlen für das weitere Vorgehen, zunächst noch einmal – unter Vorlage dieses Rechtsgutachtens – an das Kultusministerium heranzutreten.
 
Rechtsgutachten
Zu der rechtsgutachtlichen Prüfung der aktuellen Situation hinsichtlich des Unterrichtsausfalls an Gymnasien in Baden-Württemberg:
I. Der Unterrichtsausfall an einzelnen Gymnasien in Baden-Württemberg
Der Unterrichtsausfall an Gymnasien in Baden-Württemberg steht bereits seit längerer Zeit im Fokus politischer und medialer Kritik:

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1. Die Statistik des Kultusministeriums
Erst 2018 hat sich das Kultusministerium dazu entschlossen, den Unterrichtsausfall an Schulen nicht lediglich durch wenig aussagekräftige Stichproben zu erheben.  
a) Gymnasien besonders stark vom Unterrichtsausfall betroffen
Die erste vom Kultusministerium durchgeführte „Vollerhebung an den öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg“ im Zeitraum vom 11. bis 15. Juni 2018 hat für die allgemein-bildenden Gymnasien ergeben:
- Unterrichtsausfall 6,6 %,
- Abwesenheit der originär zuständigen Lehrkraft 12,7 %,
- Vertretungen 6,1 %.
Im Vergleich mit dem Unterrichtsausfall an anderen Schularten zeigte sich, dass die allgemein-bildenden Gymnasien weitaus am stärksten betroffen waren.  
Während an Grundschulen nur 1,2 %, an Realschulen nur 4,3 % des Unterrichts ausfiel, fiel 6,6 % des gymnasialen Unterrichts aus. Warum gerade im gymnasialen Bereich ein derart erheblicher Unterrichtsausfall zu verzeichnen war, ist eine offene Frage, die bislang nicht beantwortet worden ist.  
Die zweite vom Kultusministerium durchgeführte „Vollerhebung an den öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg“ im Zeitraum vom 12. bis 16. November 20181 zeigt für die allgemein-bildenden Gymnasien ein etwas positiveres Bild:
- Unterrichtsausfall 4,9 %,
- Abwesenheit der originär zuständigen Lehrkraft 9,8 %,
  ( 1  Siehe dazu unter https://km-bw.de/site/pbs-bw-new/get/documents/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/KM-Homepage/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen%202019/2019%2001%2014%20Zweite%20Vollerhebung%20-%20Anlage%20Auswertung%20Unterrichtsausfall.pdf.) 

 
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- Vertretungen 4,8 %.
Nach dieser Novembererhebung verzeichnen nur die Berufsschulen einen höheren Unterrichtsausfall als die Gymnasien.
b) Unterrichtsvertretungen einem Unterrichtsausfall gleich zu setzen
Zum Unterrichtsausfall grundsätzlich hinzuzurechnen ist der Unterricht in Abwesenheit der originär zuständigen Lehrkraft, da in diesen Fällen offensichtlich nicht sichergestellt ist, dass ein den Unterrichtsausfall gleichwertig ersetzender Unterricht gegeben ist.  
Auch hier zeigen die Erhebungen des Kultusministeriums von Juni 2018: Mit 6,1 % lagen die Gymnasien an der Spitze im Vergleich zu allen anderen Schularten. Nach den Erhebungen des Kultusministeriums vom November 2018 liegen die Gymnasien immer noch im Mittelfeld der Schularten.
Ein Unterricht in Abwesenheit der originär zuständigen Lehrkraft ist in der Regel einem Unterrichtsausfall (nahezu) gleich zu setzen. Es mangelt an der Kontinuität der Vermittlung des Stoffes, an der Kenntnis der Stärken und Schwächen der jeweiligen Schüler und Klasse insgesamt sowie meist auch an der Beherrschung des entsprechenden Fächerkanons.
Dies gilt insbesondere für Unterrichtsvertretungen von Referendaren nach Bestehen ihrer Universitätsexamina. Ein Unterricht durch Referendare ist zwar besser als gar kein Unterricht. Dass dieser Unterricht aber in der Regel nicht der Autorität, der Qualität und dem Standard einer geprüften Lehrkraft entspricht, kann niemand ernsthaft bestreiten.  
c) Zur Interpretation der Unterrichtsausfall-Statistiken
Die statistischen Angaben, die das Kultusministerium veröffentlicht hat, sind Mittelwerte. Es gibt natürlich aufs Ganze gesehen Gymnasien, an denen nur wenig Unterricht ausfällt – und umgekehrt.  

 
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Wie die Spreizung zwischen Gymnasien mit extrem wenig und extrem hohen Unterrichtsausfall aussieht, ist dem Kultusministerium zwar bekannt, entsprechende Daten sind aber dem Unterzeichnenden nicht zugänglich.  
Es spricht alles dafür, dass bei Gymnasien mit extrem hohem Unterrichtsausfall bis zu weit über dem Mittelwert von 12,7 % bzw. 9,8 %, vielleicht sogar bis zu 15 % oder noch mehr kein Unterricht durch die zuständige und entsprechend qualifizierte Lehrkraft stattfindet.  
Außerdem zeigen die Unterrichtsausfall-Statistiken nur Mittelwerte des Unterrichts insgesamt. Es gibt, wie noch zu zeigen ist, einzelne Fächer mit deutlich höherem Unterrichtsausfall. Ein Unterrichtsausfall von über 20 % in einem Fach ist kein Einzelfall.  
d) Zwischenfazit: Schulausfälle führen zu Verkürzung der gymnasialen Schulzeit um ein Jahr
Unterrichtsausfall und in der Regel kein hinreichend qualifizierter Vertretungsunterricht auf 8 oder 9 Jahre hochgerechnet ergeben, dass ein Gymnasiast für das Stundenkontingent fast eines gesamten Schuljahres keinen Schulunterricht durch die zuständigen, hinreichend qualifizierten Lehrkräfte erhält.  
Die böse Rede vom „faktischen G7“ bzw. G8 ist also berechtigt.


2. Der Unterrichtsausfall nach der Umfrage der ARGE Stuttgart
Zu vergleichbaren statistischen Daten gelangt die Auftragsgeberin des vorliegenden Rechtsgutachtens, die ARGE Stuttgart:
Sie hat in den ersten 9 Wochen des Jahres 2018 bei etwa 25 % der Gymnasien im Regierungsbezirk den Unterrichtsausfall erhoben.2  
                                                 2  Ergebnisse in Anlage 1.

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Von den 296.621 Wochenstunden sind 23.078 Stunden, also 7,78 % ausgefallen und 16.980 Stunden, also 5,72 % vertreten worden. 13,5 % des Unterrichts fand also nicht in regulärer Form statt.
Auch bei dieser Unterrichtsausfall-Statistik gilt: Es sind Mittelwerte errechnet worden. An einzelnen Gymnasien und in einzelnen Fächern fiel deutlich mehr an Unterricht aus.

3. Der Unterrichtsausfall eines potentiellen Klägers mit Exkurs zu Unterrichtsausfall an anderen Gymnasien
Was Unterrichtsausfall für einzelne Schüler an Gymnasien bedeutet, erschließt sich nur, wenn der Unterrichtsausfall in einzelnen Fächern verdeutlicht wird. Dazu dient das Beispiel potentieller Kläger in Südbaden und im Stuttgarter Raum. Dass der diesen potentiellen Klägern treffende Unterrichtsausfall kein Einzelfall ist, zeigen vergleichbare Unterrichtsausfälle an anderen Gymnasien Baden-Württembergs:
a) Unterrichtsausfall eines potentiellen Klägers in Südbaden im Schuljahr 2018/19
Die Eltern des potentiellen Klägers, der ein Gymnasium in Südbaden besucht, haben über den Stundenausfall im Schuljahr 2018/2019 vom 12.09. bis zum 10.12.2018 Buch geführt.3  
Es hat sich folgender Unterrichtsausfall ergeben:
(1) Der Unterrichtsausfall betrug insgesamt 10,62 %.
(2) In einzelnen Fächern betrug der Unterrichtsausfall u.a.:
(2.1) in Latein: 19 %,
(2.2) in Biologie: 19 %,
(2.3) in Englisch: 25 %.
                                                 3  Ergebnisse in Anlage 2.

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b) Unterrichtsausfall zweier potentieller Kläger in der Stuttgarter Region
Der Unterrichtsausfall in einem weiteren konkreten Fall eines Schülers einer 10. Klasse in der Stuttgarter Region ist dem des unter a genannten potentiellen Klägers vergleichbar4:
(1) Der Unterrichtsausfall betrug insgesamt 12,25 %.
(2) In einzelnen Fächern betrug der Unterrichtsausfall u.a.:
(2.1) in Deutsch: 20 %,
(2.2) in Physik: 17 %,
(2.3) in Erdkunde: 21,18 %,
(2.4)  in Englisch: 12,84 %.
In der Stufe „J 1“ an einem Gymnasium ebenfalls in der Stuttgarter Region gab es zum Beispiel folgenden Unterrichtsausfall:
(1) Der Unterrichtsausfall betrug insgesamt: 14,61 %
(2) In einzelnen Fächern betrug der Unterrichtsausfall u.a.:
(2.1) in Englisch: 17,6 %,
(2.2) in Informatik: 29,7 %,
(2.3) in Geschichte: 21,62 %,
(2.4) in Psychologie: 21,62 %.
                                                ( 4  Ergebnisse in Anlage 3.)
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c) Zwischenfazit: Unterrichtsausfall in einzelnen Kernfächern von 20 % und mehr
Diese prozentuale Verteilung von Unterrichtsausfall macht eines deutlich:  
Der extrem hohe Durchschnittswert des Unterrichtsausfalls korreliert mit nochmals deutlich höheren Prozentanteilen des Unterrichtsausfalls in einzelnen Fächern.  
Ein Unterrichtsausfall in einzelnen Kernfächern von 20 % und mehr ist offensichtlich keine Seltenheit.
4. Folgen des Unterrichtsausfalls
Die Folgen des Unterrichtsausfalls lassen sich nachstehend zusammenfassen:
a) Gravierende Defizite beim Ausschöpfen des individuellen Bildungspotentials und der Bildungsressourcen  
Die Folgen von Unterrichtsausfällen und von nicht hinreichend qualifiziertem Vertretungsunterricht in der vorstehend dargelegten Größenordnung sind beträchtlich.  
Wenn wegen der Unterrichtsausfälle und des vertretungsweisen Unterrichts das G 8 fast zu einem G 7 bzw. das G 9 zu einem G 8 wird, leidet die Qualität gymnasialer Ausbildung. Denn zwischen Unterrichtsausfall und Lern- bzw. Bildungserfolg besteht ein Kausalzusammenhang, und zwar ein negativer Kausalzusammenhang.5 Das Kultusministerium wird nicht ernsthaft behaupten können, dass das Erreichen der rechtlich definierten Unterrichtsziele auch dann möglich sei, wenn (fast) ein ganzes Jahr Gymnasialunterricht wegfällt.
Es leidet nicht nur die Qualität der gymnasialen Ausbildung insgesamt, sondern stärker noch die Qualität der Ausbildung in einzelnen Fächern. Wenn 20% des Unterrichts zum Beispiel im Fach „Deutsch“ ausfällt, dann lassen sich die im Deutschunterricht zu vermittelnden Kenntnisse, Fähigkeiten strukturierter
                                                 (5  Forkel, Unterrichtsausfall als Rechtsproblem, SächsVBl. 2010, 282.)

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Gedankenführung in Schrift und Wort sowie besondere Ausdrucksformen nur begrenzt und lückenhaft vermitteln. Vergleichbares gilt für Unterrichtsausfall in anderen Fächern.
Ein erheblicher Unterrichtsausfall führt notwendigerweise dazu, dass einzelne Schüler deutlich schlechter als andere Schüler in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gefördert und auf das Berufsleben vorbereitet werden.  
Ein erheblicher und damit unzumutbarer Unterrichtsausfall verstößt damit gegen das Gebot der Chancengleichheit, das zu beachten ist, wenn der Schulunterricht der Persönlichkeitsentwicklung und der Vorbereitung auf das Berufsleben dient. Den einen Schülern den hierfür rechtlich vorgesehenen Unterricht zu bieten, anderen Schülern aber zu versagen, ist ein Verstoß gegen die vom Staat zu achtende Egalität bürgerlicher Bildung und Ausbildung.
b) Insbesondere ein Verstoß gegen die Chancengleichheit bei Unterrichtsausfall in Klassen vor dem Abitur
Blickt man insbesondere auf die Abiturprüfung in den einzelnen Prüfungsfächern, dann ist Folgendes hervorzuheben:  
Durch Beschlüsse der Kultusministerkonferenz ist festgelegt, was im Abitur mit welchem Leistungsprofil zu prüfen ist.6 Dieses Leistungsprofil lässt sich nur mangelhaft erreichen, wenn zum Beispiel im Fach Deutsch in den Klassen vor dem Abitur teilweise 20 % des Unterrichts ausgefallen oder von nicht ausreichend qualifizierten Lehrkräften vertreten worden sind.
Konsequenz ist, dass Schüler die Hochschulreife erhalten, deren Schulunterricht an derart gravierenden Ausfällen gelitten hat, dass ihr Bildungspotential wegen des Mangels an chancengleichem Schulunterricht nicht annähernd ausgeschöpft worden ist.  
                                                 (6  Vgl. zum Beispiel: Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Deutsch, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 01.12.1989 i.d.F. vom 24.05.2002, verfügbar unter https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/1989/1989_12_01-EPADeutsch.pdf.) 

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Auf die gesamtgesellschaftlichen negativen Folgen dieses Versagens der Schul- und Bildungspolitik für die optimierende Pflege der Bildungsressourcen ist in diesem Rechtsgutachten nicht gesondert einzugehen.
c) Folgen für den potentiellen Kläger
Ein potentieller Kläger ist Schüler der Klasse 10 eines Gymnasiums in Südbaden. Auf den erheblichen Unterrichtsausfall in Kernfächern ist schon hingewiesen worden. Derartige Stundenausfälle, setzen sich, wie zu erwarten steht, fort. Dies führt bei dem Kläger zu einer schulischen Bildung, die in unzumutbarer Weise nicht mit dem vorgesehenen Stundenplan übereinstimmt.
aa) Diskriminierung bei der Ausschöpfung des durch den Schulunterricht zur Entfaltung gebrachten Leistungspotentials
Der Unterrichtsausfall in den Kernfächern hat für den potentiellen Kläger zur Folge, dass er seine Bildungsmöglichkeiten nicht wie bei rechtskonformem Unterricht wahrzunehmen vermag.  
Durch den Minderunterricht ist er in seinem Recht auf gleichen Unterricht und gleiche (Berufs-)Bildungsmöglichkeiten, wie sie die Schüler seiner Jahrgangsstufe erhalten, diskriminiert. Er kann nicht, wie die anderen Schüler bei regulärem Unterricht, sein durch den Unterricht vermitteltes und ermöglichtes Leistungspotential ausschöpfen.
Um es auf eine einfache je desto-Formel zu bringen: Je mehr Unterrichtsausfall in der Schulzeit stattfindet, desto geringer sind die Chancen des Klägers, in den durch den Schulunterricht zu vermittelnden bildungspolitischen Zielen gefördert zu werden.  
Insbesondere korreliert der Unterrichtsausfall schon in der Klasse 10 mit den Leistungen, die im Abitur erbracht werden. Je höher der Prozentanteil an Unterrichtsausfall oder an nicht qualifizierter Unterrichtsvertretung ist, desto schlechter sind die Leistungen im Abitur und konsequenter Weise auch die Abiturnote.  

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Der Kläger kann im Abitur nicht das Leistungsniveau und nicht den Notenschnitt erreichen, den er ohne Unterrichtsausfall hätte erreichen können.  
Dies betrifft nicht nur die Fächer, bei denen die Aufgaben zentral gestellt und zentral korrigiert werden. Er ist in seinem noch zu erörterndem Recht auf chancengleiche Bildung verletzt, weil Schüler ohne einen vergleichbaren unzumutbaren Unterrichtsausfall eine bessere Abiturnote erreichen konnten.  
Ein unzumutbarer Unterrichtsausfall diskriminiert also den Kläger bei der Vergabe der Studienplätze und/oder beim Einstieg in eine berufspraktische Ausbildung. In beiden Fällen gehören der Abiturdurchschnitt bzw. die Noten in einzelnen prüfungsrelevanten Fächern zu den maßgeblichen Kriterien bei der Vergabe von Studien- und Ausbildungsplätzen.
bb) Widerlegung möglicher Einwände
Auf mögliche Einwände ist dabei wie folgt einzugehen:
Der erste Einwand könnte sein, dass die in der Klasse 10 (und auch früheren Klassen) des Gymnasiums erreichten Noten für die Bildung der Abiturnote nicht relevant seien. Es könnte damit an einem rechtlichen Interesse an chancengleichem Unterricht in dieser Unterrichtsstufe fehlen.
Dieser Einwand liegt aber neben der Sache: Wo die Grundlagen in Latein oder Englisch nicht entsprechend den jeweiligen Stundenplänen gelegt sind, muss in den beiden Jahren vor dem Abitur jenes an Grundlagen vermittelt werden, worauf der weiterführende Unterricht nach den Bildungsplänen aufzubauen hat. Dies gilt ebenso für den Bereich der Sprachen oder der Mathematik. Wo nicht auf vergleichbaren Vor- und Grundkenntnissen aufgebaut werden kann, ist der Unterricht zwei Jahre vor dem Abitur defizitär.  
Wenn in den Abiturklassen ausgefallener Unterricht nachgeholt werden muss, lassen sich nicht die Leistungen erzielen, die bei ordnungsgemäßem Unterricht in früheren Klassen möglich waren. Dies aber verletzt einen
 
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Anspruch auf chancengleichen Unterricht in den Fächern, deren Leistungen in die Abiturnote einfließen.  
Dem Recht auf chancengleichen Unterricht lässt sich – als weiterer möglicher Einwand – auch nicht entgegenhalten, dass ein potentieller Kläger wegen des hohen Maßes an Unterrichtsausfall in Baden-Württemberg nicht in seinem Recht auf chancengleichen Unterricht diskriminiert werde. Denn es gäbe in Baden-Württemberg eine Vielzahl von Schülern in vergleichbarer Situation. Weil es an einzelnen Gymnasien und in einzelnen Abiturfächern eine erhebliche Spreizung zwischen regulär erteiltem Unterricht und Unterrichtsausfall gäbe, würde es kein Recht auf Chancengleichheit durch Erteilung des rechtlich vorgesehenen Unterrichts geben.
Es wäre aber verfehlt, die Faktizität des Unterrichtsausfalls der Gleichheitsprüfung zu Grunde zu legen. Bezugsrahmen der Gleichheitsprüfung kann lediglich die rechtlich festgesetzte Zahl von Unterrichtsstunden in einzelnen Fächern sein. Die tatsächliche Zahl kann nicht maßgeblich sein. Der rechtlichen Verpflichtung zur Organisation eines chancengleichen Unterrichts kann sich die Kultusverwaltung nicht durch Verweis auf Unterrichtsausfälle entziehen.7 Dies würde im Übrigen einer „Gleichheit im Unrecht“ nahekommen, die es verfassungsrechtlich nicht gibt.  
cc) Vergabe der Studienplätze nach der Abiturbestennote
Auch nach dem dritten Numerus-Clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts8 wird ein Teil der Studienplätze in zulassungsbeschränkten Fächern nach wie vor nach der Abiturbestennote9 vergeben.  
                                                 (7  Zu vergleichbaren Konstellationen: Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, Polizeirecht in BadenWürttemberg, 7. Aufl. 2017, § 5 Rn. 357.  8  BVerfG NVwZ Extra, 08/2018, 1 ff., abrufbar unter: https://rsw.beck.de/rsw/upload/NVwZ/Extra_8-2018.pdf.  9  Hierzu Brehm Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Dritten Numerus-Clausus-Urteil vom 19.12.2017 aus anwaltlicher Sicht, Ordnung der Wissenschaft (OdW), 2019, 36, 37 (zur Abiturbestenquote).)
 
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Dies ist für das Sommersemester 2019 und aller Voraussicht nach auch künftig in § 11 der Verordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen durch die Stiftung für Hochschulzulassung (VergabeVO Stiftung) geregelt:
㤠11 Auswahl in der Abiturbestenquote
(2) 1 Für die Besetzung der Studienplätze in der Abiturbestenquote werden so viele Bewerberinnen und Bewerber ausgewählt, wie insgesamt in dieser Quote Studienplätze zu vergeben sind. 2 Die Auswahl erfolgt nach Absatz 3 bis 5; dabei werden §§ 12 und 13 angewendet.  
(3) 1 Die Rangfolge wird durch die nach Anlage 2 ermittelte Durchschnittsnote bestimmt. 2 Eine Gesamtnote gilt als Durchschnittsnote nach Satz 1.  
(4) Wer keine Durchschnittsnote nachweist, wird hinter die letzte Bewerberin und den letzten Bewerber mit feststellbarer Durchschnittsnote eingeordnet.  
(5) Wer nachweist, aus in der eigenen Person liegenden, nicht selbst zu vertretenden Gründen daran gehindert gewesen zu sein, eine bessere Durchschnittsnote zu erreichen, wird auf Antrag mit der besseren Durchschnittsnote berücksichtigt.“
Für den noch zu schließenden Länderstaatsvertrag hat die Kultusministerkonferenz beschlossen, die Abiturbestenquote von 20 auf 30 Prozent zu erhöhen.  
Der Abiturnote wird daher nach wie vor eine hohe Prognosekraft für den Studienerfolg attestiert. Um diese erreichen zu können, bedarf es eines Unterrichts, der in den Abiturfächern für alle Schüler in gleicher Stundenzahl erfolgt und damit das Gebot der Chancengleichheit verwirklicht.

 
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dd) Zumutbare Korrekturmöglichkeiten im Zulassungsverfahren zu einem Studiengang?  
Weiterhin stellt sich die Frage: Entfällt die Benachteiligung des Klägers beim Erreichen der für ihn bestmöglichen Abiturnote dadurch, dass nach § 11 der Verordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen durch die Stiftung für Hochschulzulassung (VergabeVO Stiftung) berücksichtigt wird, dass er wegen Unterrichtsausfalls mit einer besseren Durchschnittsnote berücksichtigt wird.
Ob sich der Kläger mit einem entsprechenden Antrag im Verfahren der Vergabe von Studienplätzen durchzusetzen vermag, ist offen.  
Denn von der Rechtsprechung werden hohe Anforderungen an die Begründetheit eines derartigen Antrags gestellt:  
„Die hier aufgeworfene Problematik der Anforderungen an Anträge auf Vergabe eines Studienplatzes innerhalb der Kapazität ist nämlich dadurch geprägt, dass der Studienplatzbewerber grundsätzlich nur zum Zug kommen kann, wenn es ihm gelingt, einen der sonst nach den maßgeblichen Kriterien auszuwählenden Bewerber zu verdrängen. Hieraus schlussfolgert die Rechtsprechung in Bezug auf die in Fällen des Nachteilsausgleichs vorzunehmende Prüfung, dass eine strenge Betrachtungsweise geboten ist, eben weil jeder Nachteilsausgleich zugunsten eines Studienbewerbers das Teilhaberecht eines Anderen aus den Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verdrängt“.10  
Dabei ist auch zu belegen, wie sich der Unterrichtsausfall in der 10. Klasse auf die Abiturnote auswirkt.  
Von der Verordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen durch die Stiftung für Hochschulzulassung (VergabeVO Stiftung) ist also anerkannt, dass sich der Unterrichtsausfall in einer 10. Klasse des Gymnasiums negativ auf eine Abiturnote auswirken kann.  
                                                 (10  Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 29. Oktober 2015 – 1 B 189/15 –, Rn. 10 ff., juris.)

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Die abstrakte Möglichkeit, eine Aufbesserung der Abiturdurchschnittsnote im Verfahren der Studienplatzvergabe zu erreichen, nimmt einem potentiellen Kläger aber nicht das Rechtsschutzbedürfnis dahingehend, einen Unterricht ohne unzumutbarem Unterrichtsausfall gerichtlich durchzusetzen.
II. Verfassungsrechtliche Garantie eines hinreichenden und im Umfang  für alle Schüler im Wesentlichen gleichen Unterrichts
Der vorstehend beschriebene erhebliche Unterrichtsausfall verstößt – wie wir im Folgenden begründen – gegen die verfassungsrechtliche Garantie eines hinreichenden und im Umfang für alle Schüler im Wesentlichen gleichen Unterrichts.  
Das Recht auf Bildung und Ausbildung (dazu unter 1.) umfasst einen Anspruch auf gleiche Erteilung von Unterricht, und zwar wie er in den Stundenplänen der Gymnasien vorgesehen ist (dazu unter 2.). Die Obergrenze eines gleichheitswidrigen und infolgedessen unzumutbaren Unterrichtsausfalls wird unter 3. bestimmt.  
Im Einzelnen:
1. Das Recht der Schüler auf Bildung
Jeder Schüler hat ein Recht auf Bildung nach den folgenden Maßstäben:
a) Verfassungsrechtlicher Schutz eines Rechts auf Bildung
Die Existenz eines aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) und aus der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) abzuleitenden Rechts auf Bildung ist von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch offengelassen worden.11
                                                 (11  BVerfGE 45, 400, 417; BVerfG-K NVwZ 2018, 728, Rn. 25; vgl. auch zu einem Anspruch des Schülers auf Erziehung und Bildung nach Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Verf NW Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. April 1995 – 19 B 765/95 –, Rn. 3, juris.)

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In Literatur und Rechtsprechung wird ein Recht auf Bildung allerdings weitgehend bejaht.12 Dies wird von Badura wie folgt klar definiert:  
„Die Schüler sind nicht einfach verwaltungsrechtliche ‚Benutzer‘ der öffentlichen Anstalt Schule, sondern mit ihrem Persönlichkeitsrecht und dem ‚Recht auf Bildung‘ der subjektive Orientierungsmaßstab des komplexen Rechtsgebildes Schule, des Unterrichts und der schulischen Erziehung“.13
Dieses im Persönlichkeitsrecht und in der Berufsfreiheit wurzelnde Recht auf Bildung besteht nach überwiegend vertretener Ansicht nur für den gleichen Zugang14 zu den staatlichen Bildungseinrichten.15 Es dient nur der „Startgleichheit“ bei der Verwirklichung des Rechts auf Chancengleichheit.
Grund für diese Begrenzung eines Rechts auf Bildung ist: Der Landesgesetzgeber hat einen erheblichen, allerdings nicht unbegrenzten Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der Schulform, der Unterrichtsziele und der Verteilung der Stundendeputate auf einzelne Fächer.  
Wie in den einzelnen Bundesländern das Recht auf Bildung wahrgenommen werden kann, wird durch parlamentarische Entscheidungen und im Bildungs- sowie Schulrecht geregelt.
b) Recht auf gleiche Persönlichkeitsentfaltung im Bereich der Bildung  
Anderes gebietet jedoch das Recht auf gleiche Persönlichkeitsentfaltung im Bereich der Bildung, wenn nach außen, auf die Schüler wirkende bildungs- und schulrechtliche Regelungen bestehen.  
                                                 (12  BVerwGE 47, 201 und BVerwGE 56,155, 158. 13  Badura, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 84. EL August 2018, Art. 7 GG, Rn. 3. 14  Vertiefend Sachs, Auswirkungen des allgemeinen Gleichheitssatzes auf die Teilrechtsordnungen, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl. 2010, § 183, Rn. 156 ff.; nach Murswiek (in: Sachs (Hg.), Grundgesetzkommentar, Art. 2 GG, Rn. 111) kann ein Recht auf Bildung allein aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG folgen, also aus einer gleichen Teilhabe an den staatlichen Bildungseinrichtungen. 15  So Stüer, Recht auf unverkürzten Unterricht, RdJB 1986, 282 ff.; Badura, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 84. EL August 2018, Art. 7 GG, Rn. 5; vgl. auch Achilles, PdK He G-1. Umfang des Unterrichtsanspruchs., Ziffer 3.1.)

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Dies ist in vorliegendem Kontext der Fall, da die Stundendeputate für die einzelnen Fächer an Gymnasien rechtlich16 oder durch Verwaltungsvorschrift bzw. Dienstanweisung näher geregelt sind.  
Ob die Regelung durch Gesetz, Rechtsverordnung oder nach außen wirkender Verwaltungsvorschrift erfolgt, macht für die Gleichheitsprüfung keinen Unterschied.17 Denn auch Verwaltungsvorschriften, sofern sie wie Stundentafeln Außenwirkung haben, müssen den Gleichheitssatz beachten und in gleicher Weise vollzogen werden.18 Der in Art. 3 Abs. 1 GG geregelte allgemeine Gleichheitssatz erfordert also, dass jedem betroffenen Schüler in gleichem Stundenumfang wie allen anderen betroffenen Schülern der jeweilige Unterricht erteilt wird.19  
Denn Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) garantiert über die herkömmliche Abwehrfunktionen hinaus ein Recht auf gleiche Chance zur Persönlichkeitsentwicklung im öffentlichen Bildungs- und Schulwesen.  
Wird eine staatliche Schule besucht, sichern Art. 2 Abs. 1 GG für die Persönlichkeitsentfaltung sowie ergänzend Art. 12 Abs. 1 GG für den Bereich der beruflichen Bildung jeweils in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot ein Recht auf Chancengleichheit, das durch gleichen Unterricht für die Kohorten eines Jahrgangs zu gewährleisten ist.20
                                                ( 16   Zur Verpflichtung, die Stundentafel durch Rechtsverordnung zu regeln: Stüer, Recht auf unverkürzten Unterricht, RdJB 1986, 282, 284. 

17  So bereits Bryde, Neue Entwicklungen im Schulrecht, DÖV 1982, 661, 673 zum Anspruch des Schülers auf Unterricht gemäß der Stundentafel. 

18  Zur Selbstbindung der Verwaltung durch Verwaltungsvorschriften: Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 33. Aufl. 2018, § 23, Rn. 70; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 24, Rn. 21 ff. mit Nachw. zu Leistungsansprüchen aus Verwaltungsvorschriften. 

19  So Stüer, Recht auf unverkürzten Unterricht, RdJB 1986, 282 ff.; Forkel, Unterrichtsausfall als Rechtsproblem, SächsVBl. 2010, 282, 283.  20  Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 08. Juni 2018 – 3 M 178/18 –, Rn. 21, juris unter Verweis auf Glotz/Faber, Richtlinien und Grenzen des Grundgesetzes für das Bildungswesen in: Benda/Maihofer/Vogel (Hg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 28, Rn. 11–13; die Bedeutung eines chancengleichen Unterrichts wird von Rux (Artikel „Schulrecht“, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 3. Bd., 3. Aufl. 2013, § 86, Rn. 130) verkannt; er hält einen Unterrichtsausfall erst dann für rechtswidrig, wenn er dazu führt, dass Schüler in Abschlussprüfungen scheitern; dies fordert die kritische Rückfrage heraus: Kann der Auftrag der Schule wirklich darauf reduziert werden, dass Prüfungen nur bestanden werden können?; ebenso kritisch auch Rux, Schulrecht, 6. Auflage 2018, Rn. 831 ff.)

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Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn nicht entscheidend auf ein Recht auf chancengleichen Unterricht, sondern auf ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einhaltung der rechtlich geregelten Stundenpläne abgestellt wird21:  
Diese Regelungen sind nicht allein zur Verfolgung allgemeiner bildungspolitischer Interessen getroffen worden. Sie schützen und gestalten zugleich das Recht der Schüler auf Förderung ihrer Persönlichkeitsentfaltung. Schüler sind eben nicht nur Objekte in der Schulorganisation, sondern Subjekte, bei denen die Schulpflicht damit korreliert, dass durch den Schulunterricht zu ihrer Persönlichkeitsentfaltung beigetragen wird. Handelt es sich bei der rechtlichen Regelung von Stundenplänen um Schutznormen, so besteht ein subjektiv-öffentliches, gerichtlich durchsetzbares Recht auf entsprechenden Unterricht.
c) Adressaten des Anspruchs auf gleiche Persönlichkeitsentfaltung im Bereich der Bildung
Ein solcher Anspruch steht nach seinem aus dem Grundgesetz heraus entwickeltem Schutzbereich den vom Unterrichtsausfall betroffenen Schülern zu. Ein Anspruch auf Chancengleichheit im Bildungsbereich stellt nach Ansicht einer Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts kein Elternrecht dar, auf das sich Eltern selbst berufen könnten.22
2. Vom Anspruch auf Erteilung von Unterricht in gleicher Weise entsprechend den Stundenplänen zum Anspruch auf chancengleichen Zugang zum Hochschulstudium
Aus dem Recht auf Chancengleichheit in der Persönlichkeitsentfaltung und in der beruflich orientierten Ausbildung folgt ein Anspruch auf Erteilung von Unterricht, der entsprechend den rechtlich geregelten Stundenplänen für alle Schüler in gleicher Weise erfolgt.  
                                                 (21  Forkel, Unterrichtsausfall als Rechtsproblem, SächsVBl. 2010, 282, 283. 

                                                  22  BVerfG-K NVwZ 2018, 728 Rn. 25 mit Verweis auf VGH Mannheim, BeckRS 2013, 4685.)

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Wenn rechtlich oder durch Verwaltungsvorschrift vorgesehen wurde, welche Unterrichtsfächer mit welcher Zahl von Wochenstunden und mit welchen Zielsetzungen zu unterrichten sind23, ergibt sich die Verpflichtung, durch organisatorische Maßnahmen sicher zu stellen, dass der entsprechende Unterricht auch allen Schülern in gleicher Weise erteilt werden kann.  
Im Einzelnen:
a) Strikte Beachtung des Gleichheitssatzes bei rechtlich geregelten staatlichen Leistungsangeboten
Zwar hat der Staat einen weiten Gestaltungsspielraum bei den Leistungen, die er im Bereich von Bildung oder von Schule erbringen möchte. Aus den entsprechenden verfassungsrechtlichen Zielsetzungen lassen sich nicht direkt – und damit keine originären – Leistungsansprüche herleiten.24 Grund ist, dass der Staat bei der Erfüllung seiner bildungspolitischen Staatsaufgaben einen weiten Gestaltungsspielraum für demokratisch legitimierte Politik hat.
Anderes gilt aber bei den sogenannten derivativen Teilhaberechten. Diese betreffen den Bereich, in dem ein staatliches Leistungsangebot rechtlich geregelt ist. Hier darf aus Gleichheitsgründen einzelnen Begünstigten nicht ein Teil der rechtlich geregelten Leistungen vorenthalten werden25:  
„Die Grundrechte vermitteln derivative Teilhaberechte, das heißt eine gleiche Teilhabe an den sozialen, grundrechtliche Freiheit ermöglichenden Transferleistungen.“
Dieser Grundsatz ist vom Bundesverfassungsgericht im dritten NC-Urteil im Kontext des Bildungsbereiches besonders betont worden:
                                                 (23  Siehe zum Beispiel § 10 Verordnung des Kultusministeriums über die Jahrgangsstufen sowie die Abiturprüfung an Gymnasien der Normalform und Gymnasien in Aufbauform (Abiturverordnung Gymnasien der Normalform – AGVO, GBl. 2018, 388). 

                                                 24  Hierzu Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 33. Aufl. 2018, § 17, Rn. 7 f. mit Ausführungen zu  

                                                       Ausnahmefällen.

                                                 25  Hierzu Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 33. Aufl. 2018, § 17, Rn. 9 – hier auch das folgende Zitat; für

                                                       den vorliegenden Bereich: Forkel, Unterrichtsausfall als Rechtsproblem, SächsVBl. 2010, 282.


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„Aus der Ausbildungs- und Berufswahlfreiheit des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich für diejenigen, die dafür die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllen, ein Recht auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot und damit ein derivativer Anspruch auf gleichheitsgerechte Zulassung zum Studium ihrer Wahl.“  
Und weiter wird betont:
„Der verfassungsrechtliche Grundrechtsschutz zielt dabei nicht nur auf die Abwehr von Eingriffen der öffentlichen Gewalt, sondern im Zusammenwirken mit Art. 3 Abs. 1 GG auch auf gleichheitsgerechte Teilhabe an staatlichen Leistungen und - hier - staatlichen Studienangeboten.“26  
Was das Bundesverfassungsgericht zur gleichheitsgerechten Teilhabe an staatlichen Studienangeboten ausführt, lässt sich ohne weiteres auf eine gleichheitsgerechte Teilhabe an staatlichen Unterrichtsangeboten übertragen.
Diesem Anspruch von Schülern und Studierenden auf eine gleichheitsgerechte Teilhabe am Unterricht und gleichheitsgerechte Teilhabe bei der Verteilung von Studienplätzen hat sich der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg für den hier interessierenden Schul- und Bildungsbereich angeschlossen27.  
Auszulegen war Art. 11 Abs. 1 LV BW, wonach jeder junge Mensch „das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung“ hat. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg handelt es sich bei Art. 11 Abs. 1 LV
„nicht um einen bloßen Programmsatz, sondern um ein klares Verfassungsgebot, das in erster Linie für die Legislative, aber auch für die Exekutive gilt, wie sich aus Abs. 2 der Vorschrift, wonach das öffentliche Schulwesen nach diesem Grundsatz zu gestalten ist, und aus Abs. 4 ergibt, wonach das Nähere ein Gesetz regelt“.  
                                                 (26  BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2017 – 1 BvL 3/14 –, BVerfGE 147, 253-363, Rn. 103, 105 mit Verweis auf BVerfGE 33, 303, 330 ff.; 43, 291, 313 ff.; 134, 1, 13 f. Rn. 37.

                                                 27  Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg, Urteil vom 30. Mai 2016 – 1 VB 15/15, Rn. 49, juris. )

 
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In Rn. 50 wird dies weiter konkretisiert:
„Darüber hinaus kann aus Art. 11 Abs. 1 LV ein subjektives Teilhaberecht auf Bildung abgeleitet werden, das jedoch im Einzelnen der staatlichen Ausgestaltung bedarf. So ergibt sich daraus wegen des Organisations- und Gestaltungsspielraums des Staates nach Art. 11 Abs. 2 und 4 LV im Grundsatz kein subjektives Recht auf Schaffung und Bereitstellung bestimmter Bildungseinrichtungen. Hat jedoch der Staat öffentliche Erziehungs- oder Ausbildungseinrichtungen geschaffen, ist Art. 11 Abs. 1 LV als landesrechtliches Grundrecht auf - insbesondere im Hinblick auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage - gleichen und der jeweiligen Begabung entsprechenden Zugang zu diesen Einrichtungen zu verstehen“.  
Aus dieser Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg28 folgt, dass zwar aus Art. 11 Abs. 1 LV BW keine Ansprüche auf konkrete Leistungen im Bildungsbereich hergeleitet werden können.  
Hat jedoch das Land Baden-Württemberg öffentliche Erziehungs- oder Ausbildungseinrichtungen und, wie weiter zu konkretisieren ist, bildungsrelevante Transferleistungen zur Verfügung gestellt und rechtlich geregelt, so gibt Art. 11 Abs. 1 LV ein subjektiv-öffentliches Teilhaberecht an diesen Leistungen.  
Insoweit ist Art. 11 Abs. 1 LVerf BW ein Grundrecht mit Klagemöglichkeit.
Damit bleibt festzuhalten: So weit der Umfang von Unterricht in einzelnen Fächern rechtlich geregelt ist, besteht ein aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitetes Recht der Schüler auf chancengleiche Erteilung dieses Unterrichts.
b) Rechtliche Regelung des Unterrichts an Gymnasien
Für den Unterricht an Gymnasien wird durch Rechtsverordnung des Kultusministeriums29 vorgeschrieben, welches Fach in welcher Jahrgangsstufe in welchem Umfang an Stunden am Gymnasium zu unterrichten ist. So ist etwa vorgesehen:
                                                ( 28  Zustimmend Ebert, in Haug (Hg.), Verfassung des Landes BW, 2018, Art. 11 LVerf, Rn. 21 mit Nachw.

                                                 29  Vgl. Verordnung des Kultusministeriums über die Stundentafeln der Klassen 5 bis 10 der Gymnasien der Normalform und der Klassen 7 bis 11 der Gymnasien in Aufbauform mit Internat (Stundentafelverordnung Gymnasien) vom 23. Juni 1999, BW GBl. 1999, S. 323 mit Kontingentstundentafel für die Klassen 5 bis 10 der Gymnasien der Normalform, gültig ab 01.08.2018, GBl. S. 280, 284.)

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„Die Kernfächer Deutsch, fortgeführte Fremdsprache und Mathematik sind für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich und werden mit vier Wochenstunden unterrichtet. Sie sind Teil der schriftlichen Abiturprüfung.  
Die Fächer Geschichte, Musik oder Kunst, Religionslehre oder Ethik und Sport müssen – sofern sie nicht Wahlkernfach sind – über vier Halbjahre zweistündig belegt werden, Gemeinschaftskunde und Geographie in der Regel zwei Halbjahre zweistündig.“30
Dieser Anspruch des Schülers auf Gleichheit bei der Vermittlung des Unterrichtsstoffes geht nicht so weit, dass in jedem Fach die vorgesehene Zahl an Unterrichtsstunden strikt eingehalten werden müsste. Es ist zumutbar, dass, aus welchen Gründen auch immer, einzelne Stunden ausfallen.
c) Obergrenzen des Unterrichtsausfalls: Gleichheitswidrigkeit und Unzumutbarkeit
Damit geht es um die Beantwortung folgender Frage:  
Welche quantitativen Obergrenzen sind hinsichtlich von Unterrichtsausfällen noch statthaft? Diese quantitativen Obergrenzen sind im Hinblick ist das jeweilige Unterrichtsfach und auf den Unterricht insgesamt zu bestimmen.
In vielen Rechtsbereichen werden vergleichbare Obergrenzen entwickelt, ab denen eine bestimmte Quantität in eine neue Qualität umschlägt. So ist etwa im Polizei- und Sicherheitsrecht die Rechtsfigur einer Ermessensreduzierung auf Null entwickelt worden. Ermessen bei dem Ob und Wie polizeilichen Einschreitens gestattet im Ergebnis polizeiliche Passivität bei der Gefahrenabwehr. Allerdings muss die Polizei erhebliche Gefahren für das Leben, die Gesundheit oder das Eigentum abwenden31.
                                                 (30  S. dazu unter https://www.km-bw.de/,Lde/Startseite/Schule/Abitur+und+Oberstufe, zuletzt abgerufen am 13. 2.. 2019.

                                                   31  Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 7. Aufl. 2017, § 5, Rn. 354. )

 
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Die Obergrenzen eines noch zumutbaren, dem Gleichheitsgebot nicht widersprechenden Ausfalls von Unterricht bestimmen sich danach, ab wann ein Unterrichtsausfall die Chancengleichheit in Bildung und Ausbildung verletzen kann.  
In diesem Sinn stellt die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 08.06.2018 (3 M 178/18) bei der Diskussion der Obergrenzen von Unterrichtsausfall zunächst das Recht der Kinder in den Vordergrund, zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit heranzureifen:
„Ausgangspunkt … ist das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, das dem einzelnen Kind ein Recht auf eine möglichst ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit und damit seiner Anlagen und Befähigungen geben soll. Aus dieser verfassungsrechtlich vorgegebenen Grundlinie folgt die Pflicht des Staates, seine Bildungsbemühungen so zu gestalten, dass Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit erhalten, zur kritischen und selbstbestimmten Person heranzureifen.“32
Bei der Persönlichkeitsentwicklung kommt den Unterrichtsfächern Geschichte, Sozialkunde, zum Teil auch Deutsch besondere Bedeutung zu.  
Dieses Recht auf Persönlichkeitsentwicklung wird durch das Recht ergänzt, durch den Schulunterricht dazu angeleitet zu werden, die eigenen Fähigkeiten – auch mit Blick auf das künftige Berufsleben und damit auf Art. 12 Abs. 1 GG – entwickeln zu können. Dem dienen die vorgenannten Fächer ebenfalls, zudem auch Mathematik, Naturwissenschaften, Sprachen sowie kaufmännische und technische Fächer. Insgesamt gesehen ist der Schulunterricht nicht nur auf Persönlichkeitsbildung, sondern auch darauf angelegt, den einzelnen Kindern optimale Chancen für ihren späteren Berufsweg zu eröffnen.  
Damit ergibt sich: Es bedarf eines „quantitativ und qualitativ gleichen Schulunterrichts“, um dem Anspruch der Schüler auf gleiche Teilhabe an den vorhandenen Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen genügen zu können. Um es klar zu formulieren:
Nur wer im Gymnasium die gleichen Bildungschancen wie alle Mitschüler einer Klassenstufe hatte, kann sein Recht auf chancengleiche Bildung und Ausbildung sowie auf                                                 

                                                     (32  Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 08. Juni 2018 – 3 M 178/18 –, Rn. 23, juris.)

 
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chancengleichen Zugang zu Hochschule und/oder Berufsausbildung wahrnehmen. Unterrichtsausfälle und Unterricht durch nicht hinreichend qualifizierte Lehrkräfte ab einem bestimmten Umfang verletzen mit dem Recht chancengleicher Schulbildung zugleich das Recht auf chancengleichen Zugang zu Hochschulen und zur Berufsausbildung.  
Erhebliche Unterrichtsausfälle über die gesamte Schulzeit hinweg verhindern die Chancengleichheit bei der Persönlichkeitsbildung und bei der Vorbereitung auf das Berufsleben sowie einen chancengleichen Hochschulzugang.
d) Voraussetzungen von Unterricht in Abweichung vom Stundenplan
Ab einer gewissen Quantität des Unterrichtsausfalls besteht ein subjektiv-öffentliches Recht auf Unterlassung des Unterrichtsausfalls bzw. positiv formuliert auf Unterrichtserteilung. Wann diese Grenze der unzulässigen erheblichen Unterrichtsausfälle erreicht ist, wird im Folgenden erörtert.
Die Rechtsprechung hat dies dahin formuliert: Es besteht ein „Anspruch, von unzumutbaren oder gänzlich unangemessenen Schulbesuchsbedingungen verschont zu bleiben“33 – und damit auch von einem unzumutbarem Unterrichtsausfall.
Bei der Prüfung, ob ein Unterrichtsausfall unzumutbar bzw. gänzlich unangemessen ist, muss man berücksichtigen und abwägen34:
(1) Handelt es sich bei dem in Rede stehenden Unterricht um einen unmittelbar prüfungsvorbereitenden Unterricht, der in Noten eingeht, die für die Hochschulzulassung oder für die Berufsausbildung von Bedeutung sind? Ein im
                                                 (33  Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29. Dezember 2010 – 2 A 10797/10 –, Rn. 6, juris unter Verweis auf BVerfGE

                                                 34, 165 [182 ff.]; BVerwG, DVBl. 1976, 635 [636]; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13. Februar 1986 – 7 B 15/86 – NVwZ 1986, 1036 m.w.N.; Forkel, SächsVBl. 2010, 282 [283]; Theuersbacher, NVwZ 1995, 1178; s. auch VG Halle (6. Kammer), Beschluss vom 16.04.2018 - 6 B 232/18 HAL, BeckRS 2018, 13098, Rn. 10.

                                                 (34  Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 08. Juni 2018 – 3 M 178/18 –, Rn. 30, juris; vgl. auch schon die Vorinstanz s. auch VG Halle (6. Kammer), Beschluss vom 16.04.2018 - 6 B 232/18 HAL, BeckRS 2018, 13098, Rn. 10 ff.)

 
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Abitur nicht prüfungsrelevanter Unterrichtsausfall ist eher hinzunehmen als in den Kernfächern der Abiturprüfung.  
(2) Handelt es sich um einen Unterrichtsausfall in den unteren Klassen und besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass dadurch entstandene Defizite in den folgenden Schuljahren wieder ausgeglichen werden können35? Unterrichtsausfälle in den unteren Klassen sind eher zumutbar als in den letzten drei Klassen vor dem Abitur. Denn in diesen Klassen lassen sich erhebliche Unterrichtsausfälle durch späteren Unterricht in der Regel nicht nachbessern.
(3) Wo verläuft die quantitative Untergrenze des Unterrichts, um die nach den Bildungsplänen vorgeschriebenen Zielsetzungen zu erreichen? Diese Frage stellt sich nur, wenn in gymnasialen Bildungsplänen keine Vorgaben gemacht sind, in welchem Stundenumfang ein bestimmtes Fach zu unterrichten ist. Denn in diesem Fall ist an allen Schulen in Baden-Württemberg diese rechtliche Festsetzung des Unterrichtsumfangs zu beachten.
(4) Ist der Unterrichtsumfang rechtlich festgelegt, stellt sich die Frage: Wo verläuft die quantitative Obergrenze eines noch hinnehmbaren Unterrichtsausfalls? Oder anders formuliert: Was ist der verfassungsrechtliche Mindeststandard an Unterricht, der bei einem Unterrichtsausfall zu wahren ist?
3. Zur Bestimmung der Obergrenze eines gleichheitswidrigen und infolgedessen unzumutbaren Unterrichtsausfalls
Die Obergrenze eines gleichheitswidrigen und infolgedessen unzumutbaren Unterrichtsausfalls lässt sich nicht einfach bestimmen.  
                                                 (35  Vgl. insoweit Rux, Schulrecht, 6. Auflage 2018, Rn. 835.) 
 
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a) Ernsthafte Befürchtung von Auswirkungen auf Abiturnote
Diese Obergrenze ist jedenfalls überschritten, wenn der Unterrichtsausfall dazu führt, dass die Chancengleichheit bei der Persönlichkeitsentwicklung und bei der Vorbereitung auf das Berufs- und Erwerbsleben gefährdet wird.36  
Daraus folgt:
Die Obergrenze eines gleichheitswidrigen und unzumutbaren Unterrichts in den Schuljahren vor dem Abitur ist dann überschritten, wenn der Unterricht in den Abiturfächern in dem Maß ausfällt, dass ernsthaft zu befürchten steht, dass dieser Unterrichtsausfall Auswirkungen auf die Abiturnote hat.
Die Abiturnote wird nach der allseits bekannten Formel errechnet. Bereits ein Punkt im Notendurchschnitt kann die Notenstufe verändern. Damit kann ein Punkt im Notendurchschnitt über die Zulassung zum Hochschulstudium eigener Wahl entscheiden. Er kann über die Zulassung zu einem Studienfach entscheiden, das die Qualifikation zum Wunschberuf des Schülers vermittelt. So wie die Hochschulen in den NC-Fächern alle ihre Ausbildungskapazitäten bis zum letzten Platz auszuschöpfen haben, müssen die Schulen dafür sorgen, dass ein chancengleicher Unterricht die Voraussetzungen dafür schafft, dass eine chancengleiche Abiturnote den chancengleichen Zugang zum Studium ermöglicht.
b) 8 %-Grenze jedenfalls in Abiturfächern
Legt man diesen Maßstab an, so ergibt sich für den noch zumutbaren, gegen das Recht auf Chancengleichheit nicht verstoßenden Unterricht:  
? In den letzten drei Schuljahren vor dem Abitur dürfen an den Gymnasien in Baden-Württemberg nicht mehr als 8 % an Unterricht37 durch einen qualifizierten Lehrer ausfallen.  
                                                 (36      Ähnlich Avenarius, Schulrecht, 8. Aufl. 2010, S. 394, der aber entscheidend auf die Erreichung der Bildungsziele abstellt. Gefährdet der Unterrichtsausfall die Erreichung der Bildungsziele, werden von Avenarius Klagemöglichkeiten bis zu einer Amtshaftungsklage bejaht. 

                                                 37      Zu früher vertretenen, großzügigeren Prozentzahlen vgl. Avenarius, Schulrecht, 8. Aufl. 2010, S. 393 mit Fn. 8.) 

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? Einen genauen empirischen Nachweis für diese 8 %-Grenze kann zwar nicht erwartet werden. Wenn man aber fragt, in welchem Ausmaß Unterricht ausfallen kann, ohne dass der Leistungsstand negativ beeinflusst wird, so sind 8 % die Obergrenze für einen Unterrichtsausfall, der noch nicht zwingend schlechtere Kenntnisse und damit Noten befürchten lässt.  
? Wer eine noch höhere Obergrenze für zumutbar hält, zweifelt daran, dass das Erreichen der Bildungs- und Unterrichtsziele jenes Stundenumfangs bedarf, der in den Bildungsplänen vorgesehen ist.  
? Und davon abgesehen würde dann auch der Umfang der Schulpflicht grundsätzlich in Frage gestellt, wenn auch mit 8 % (oder noch) weniger Unterrichtszeit die bildungspolitischen Ziele erreicht werden könnten: Denn weshalb sollte es einer ständigen Schulpflicht bedürfen, wenn das in der Schule zu vermittelnde Wissen auch in einer deutlich kürzeren Zeit vermittelt werden könnte? Es ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass die vorgegebene Schulzeit ausreichend, aber auch erforderlich ist, um den notwendigen Wissenstand für das Abitur zu vermitteln. Wenn durch mehr als unerhebliche Ausfälle das Abiturziel mithin gefährdet wird, dann liegt darin ein nicht mehr zumutbarer Zustand, der gegen das Recht auf Chancengleichheit verstößt.
? In den einzelnen Abiturfächern dürfen an einem Gymnasium daher nur maximal 8 % des Unterrichts ausfallen. Denn bei einer höheren Quote an Unterrichtsausfall steht zu befürchten, dass die Chancengleichheit bei der Erreichung der Unterrichtsziele verletzt wird, was seinerseits zu erheblichen Beeinträchtigungen des künftigen Berufs- und Lebensweges führen kann, etwa keiner Zulassung zum Studium eigener Wahl.
4. Ergebnis
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der im vorangegangenen Teil beschriebene erhebliche Unterrichtsausfall gegen die verfassungsrechtliche Garantie eines hinreichenden und im Umfang für alle Schüler im Wesentlichen gleichen Unterrichts verstößt. Denn das Recht

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auf Bildung und Ausbildung umfasst einen Anspruch auf gleiche Erteilung von Unterricht, und zwar wie er in den Stundenplänen der Gymnasien vorgesehen ist.  
Ab einem Unterrichtsausfall in den letzten drei Schuljahren vor dem Abitur von mehr als 8 % an Unterricht durch einen qualifizierten Lehrer bzw. ab einem Unterrichtsaufall in einzelnen Abiturfächern von mehr als 8 % des Unterrichts ist regelmäßig zu befürchten, dass die Chancengleichheit bei der Erreichung der Unterrichtsziele verletzt wird. Dies kann zu erheblichen Beeinträchtigungen des künftigen Berufs- und Lebensweges führen.  
In solchen Fällen ist jedenfalls der subjektiv-rechtliche Anspruch auf gleiche Erteilung von Unterricht verletzt. Ein insofern betroffener Schüler könnte diesen Anspruch – gegebenenfalls auch gerichtlich – geltend machen.  
III. Keine hinreichenden Maßnahmen zur Verminderung des Unterrichtsausfalls
Auch im schulischen Bereich gilt der Rechtsgrundsatz: Ultra posse nemo tenetur – ein Unterrichtsausfall, der nicht vermeidbar ist, muss hingenommen werden. Deswegen gehört es zur Normalität, dass unvorhersehbare Ereignisse zu einem unvermeidbaren Unterrichtsausfall führen können.
Jenseits des Unvermeidbaren besteht allerdings die rechtliche Verpflichtung der jeweiligen Schulleitung und des Landes Baden-Württemberg bzw. des Kultusministeriums alles rechtlich und faktisch Mögliche zu unternehmen, um Unterrichtsausfällen vorzubeugen und diese zu verhindern.  
Dieser rechtlichen Verpflichtung hat man in den vergangenen Jahren Rechnung zu tragen versucht. Ihr ist aber noch nicht hinreichend genügt worden:  

1. Verpflichtung der Gymnasien zu organisatorischen Maßnahmen zur Verhinderung von Unterrichtsausfall
Die Gymnasien sind verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen Unterrichtsausfälle zu vermeiden.38 Sollten zum Beispiel dienstliche Gründe für einen Unterrichtsausfall
                                                 (38  BVerwG, NVwZ 1984, 796 f.)
 
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vorgetragen werden, so ist abzuwägen: Wie gewichtig ist der dienstliche Grund und wie gewichtig ist die Vermeidung von Unterrichtsausfall?  
Bei dieser Abwägung gilt die bekannte Je-Desto-Formel:  
Je gravierender die Belastungen durch den Unterrichtsausfall an einem Gymnasium sind, desto weniger dürfen dienstliche Gründe für einen Unterrichtsausfall maßgeblich sein.
Ausfälle von Unterrichtsstunden wurden nach den hier vorliegenden Angaben unter anderem auf Bewerbertraining, Lehrerkonferenz oder Fortbildung zurückgeführt. Derartige Stundenausfälle sind nicht mehr zulässig, wenn der Unterrichtsausfall mitsamt nicht hinreichend qualifiziertem Vertretungsunterricht an einer Schule im Schnitt über etwa  8 % liegt.  
Vergleichbares gilt für den Ausfall in einzelnen Fächern. Es ist schlechthin unzumutbar, wenn etwa 20 % des Deputats an Deutschstunden in einer Klasse ausfallen. Wie können bei einem solchen Unterrichtsausfall Fähigkeiten und Leistungen im Deutschunterricht vermittelt werden, die dem Standard eines stundenplanmäßigen Deutschunterrichts entsprechen?  
Auch insoweit ist von der Schule darauf hinzuwirken, dass in einem einzelnen Fach nicht mehr als etwa 8 % des stundenplanmäßigen Unterrichts ausfällt bzw. durch nicht hinreichend qualifizierte Vertretungskräfte erbracht wird.
2. Lange Zeit keine Reaktion des Landes bzw. des Kultusministeriums auf den zunehmenden Unterrichtsausfall an Gymnasien
Die seit dem Schuljahr 2011/2012 geführten Stichprobenstatistiken39 zeigen zweierlei:
o Schon im Schuljahr 2011/2012 fiel mit 3,8 % an Gymnasien deutlich mehr Unterricht aus als an anderen Schularten.  
o Es ist statistisch ein fast kontinuierlicher Anstieg bis auf 6,6 % Unterrichtsausfall im Schuljahr 2017/2018 festgestellt worden.  
                                                 (39  LT-Drs. 16/3378 vom 25. 1. 2018, S. 3.)

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Warum hat das Kultusministerium nicht bereits 2012 auf den bereits damals problematischen Unterrichtsausfall an Gymnasien reagiert?  
Warum hat man sich mit Stichprobenstatistiken begnügt? Warum hat man sich erst 2018 zu genaueren statistischen Erhebungen entschlossen?40  
Und nicht zuletzt: Warum ist dem Kultusministerium nichts über die Qualität von Unterricht durch Vertretungen bekannt?
Diese kritischen Fragen zeigen:  
Das Kultusministerium hat die Problematik des fast jährlich steigenden Unterrichtsausfalls an Gymnasien offensichtlich unterschätzt.  
3. Geringschätzung der Korrelation von Abbau von Lehrerstellen und Unterrichtsausfall
Unterrichtsausfall lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass qualifizierte Lehrer nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Damit kann es eine Korrelation zwischen Abbau von Lehrerstellen und Unterrichtsausfall geben. Vom Kultusministerium wird jedoch bestritten, dass es im Bereich der Gymnasien eine Korrelation von Abbau von Lehrerstellen und Unterrichtsausfall gebe.41  
Fakt ist:
Während 2011 insgesamt 110.513 Lehrkräfte sowie 2.100 befristet beschäftigte Lehrkräfte eingestellt waren, waren es 2018 nur noch 108.569 sowie nunmehr aber 3.334 befristet beschäftigte Lehrkräfte.42

Trotz zunehmenden Unterrichtsausfalls in fast allen Schularten Lehrerstellen abzubauen, war und ist hinsichtlich der Gymnasien eine nicht nachvollziehbare Entscheidung. Und weiterhin lässt sich fragen: Warum nimmt die Zahl der befristet angestellten Lehrkräfte so extrem zu? Warum werden keine Stellen geschaffen, um befristete Einstellungen zu verhindern?
                                                 (40  LT-Drs. 16/4642 vom 15. 8. 2018, S. 3 41  LT-Drs. 16/4642 vom 15. 8. 2018, S. 6. 42  LT-Drs. 16/3378 vom 25. 1. 2018, S. 7 f. )

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Wenn seitens des Kultusministeriums behauptet wird, der Grad der Lehrerversorgung an Gymnasien sei hinreichend43, so ist zu fragen: Muss nicht bei der Planung gymnasialer Lehrerversorgung dem unzumutbaren Unterrichtsausfall Rechnung getragen werden? Und dies durch Stellen im Haushaltsplan und nicht nur durch Mittel für eine lediglich befristete Beschäftigung?
4. Keine wirklichen Probleme bei der Einstellung von Lehrern
Nach Ansicht des Kultusministeriums fallen die meisten Unterrichtsstunden in den Fächern Mathematik, Physik, Chemie und Sport aus. Dem könne durch Einstellung von Lehrern nicht abgeholfen werden, da es nicht genügend Hochschulabsolventen gebe. Allerdings sind nicht nur in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern unzumutbare Unterrichtsausfälle zu verzeichnen. Auch in Deutsch und im Bereich der Fremdsprachen findet ein unzumutbarer Unterrichtsausfall statt. Und allgemein bekannt ist, dass es bei Gymnasiallehrern in fast allen Kernfächern ein Überangebot an Bewerbern gibt.
Daher liegt die Behauptung des Kultusministeriums neben der Sache, selbst wenn 1000 neue Stellen in diesen und anderen Fächern geschaffen werden würden, sei keine einzige Stelle besetzbar.44 Wie sich Stellenbesetzungsverfahren bei neu geschaffenen Stellen in einem neuen Haushaltsjahr entwickeln, lässt sich nie mit Bestimmtheit voraussagen.
5. Keine ausreichende Lehrerreserve für den Unterrichtsaufall an Gymnasien
Die Landesregierung hat verkündet, der Haushalt 2017 setze neue Akzente in der Bildungspolitik.45 Für die Grundschulen und für die Realschulen wurden neue Stellen geschaffen. Der Landesgesetzgeber muss sich fragen lassen, warum dem Unterrichtsausfall an Gymnasien nicht mit einem deutlichen Ausbau der Lehrerreserve oder anderen klaren Stellenzuweisungen begegnet wird. Eine höhere Lehrerreserve wäre in der Lage, den Unterrichtsausfall durch qualifizierte Lehrkräfte zu minimieren.
                                                 (43  LT-Drs. 16/3378 vom 25. 1. 2018, S. 5.

                                                 44  Protokoll der Sitzung der ARGE Stuttgart vom 15.11.2018, S. 2.

                                                 45  S. dazu https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/haushalt2017-setzt-neue-akzente-in-der-bildung/, zuletzt abgerufen am 14.01.2019. )

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In diesem Zusammenhang lässt sich darauf hinweisen, dass die Ausgaben für öffentliche Schulen in Baden-Württemberg unter dem Bundesdurchschnitt liegen und von Bundesländern wie Hamburg und Bayern deutlich übertroffen werden.46 Weil Baden-Württemberg trotz seiner Finanzkraft bei den Bildungsausgaben für Schüler nur im Mittelfeld47 liegt, vermag man auf Unterrichtsausfall an den Schulen haushaltsrechtlich nicht in gebotener Weise zu reagieren.
6. Verfehlte Regelung für die Einstellung von Vertretungskräften
Das Kultusministerium hat mit Erlass vom 04.01.2018 die „Befristete und stundenweise Beschäftigung zur Vermeidung gravierender Unterrichtsausfälle während des Schuljahres“48 geregelt. Für die Erteilung von Lehraufträgen zur Vermeidung von Unterrichtsausfall wird gefordert:
„Um nicht vorhersehbare gravierende Unterrichtsausfälle während des Schuljahres, die anders nicht ausgeglichen werden können, zu vermeiden, dürfen im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel Lehraufträge erteilt werden. Die Lehraufträge dürfen nur befristet, gegebenenfalls bis zur Rückkehr der zu vertretenden Lehrerin oder des Lehrers, längstens jedoch bis zum letzten Schultag des laufenden Schuljahres, vereinbart werden“.  
Diese Regelung ist aus den folgenden Gründen verfehlt:
(1) Das Kultusministerium geht davon aus, dass nur bei nicht vorhersehbaren gravierenden Unterrichtsausfällen Lehraufträge erteilt werden können. Unterrichtsausfälle, die noch nicht gravierend sind, müssen also hingenommen werden. Das Kultusministerium verhindert damit einen Unterricht, der dem Stundenplan entspricht, weil bei bedeutsamen, aber noch nicht gravierenden Unterrichtsausfällen keine Lehraufträge erteilt werden dürfen.  
In anderen Bundesländern sehen die entsprechenden Dienstanweisungen ganz allgemein vor, dass jeglichem Unterrichtsausfall mit der Erteilung von Lehraufträgen abzuhelfen ist. Warum orientiert sich das Kultusministerium nicht an dieser Regelung                                                 

                                          (46  Bildungsfinanzbericht 2017, Tabelle 4.2.4-2.

                                           47  S. dazu unter https://www.swr.de/swraktuell/ausgaben-oeffentlicher-schulen//id=396/did=21212698/nid=396/z54jh9/index.html, zuletzt abgerufen am 09.02.2019.  48  Abgedruckt in juris.)
 
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anderer Bundesländer? Dies würde zur Minimierung des Unterrichtsausfalls beitragen.
(2) Das Kultusministerium regelt nicht näher, was „gravierende Unterrichtsausfälle während des Schuljahres“ sind. Dies hätte aber den Schulleitungen der Gymnasien deutlich vorgegeben werden müssen. Sind es etwa nur 5 % oder 8 % oder gar 10 % und mehr des gesamten Unterrichts? Sind es etwa nur 5 % oder 8 % oder gar 10 % und mehr in einem zentralen Fach? Das Kultusministerium darf derartiges nicht der uneinheitlichen Einschätzung an Gymnasien überlassen. Um die Chancengleichheit im Unterricht hinreichend zu wahren, muss es klare Vorgaben für die Bewältigung von Unterrichtsausfall machen.
(3) Sehr problematisch ist, dass der soeben zitierte Erlass des Kultusministeriums die Erteilung von Lehraufträgen von verfügbaren Haushaltsmitteln abhängig macht. Was ist die Folge, wenn die Haushaltsmittel für die Erteilung von Lehraufträgen nicht mehr verfügbar sind, um völlig unzumutbare Stundenausfälle von über 20 % in einzelnen Fächern oder über von 15 % des Stundenplans einer Klasse zu kompensieren? Soll dann etwa der Unterrichtsausfall legalisiert sein?
Um es deutlich zu formulieren:  
Um ein ausreichendes und für alle Schüler gleiches Lehrangebot an den Gymnasien des Landes Baden-Württemberg zu garantieren, gibt es rechtlich keine Restriktionen durch eine Begrenzung der Haushaltsmittel. Verstöße gegen die Gleichheit in der Bildung lassen sich nicht durch hausrechtliche Restriktionen rechtfertigen.
7. Forderungen der ARGEs der Regionen Baden-Württembergs
Schließlich ist auf die Forderungen der ARGEs Baden-Württembergs vom 09.11.2018 zu verweisen, deren Erfüllung eine Minderung des unzumutbaren Unterrichtsausfalls erwarten lässt:
o Mindestens 110-prozentige Unterrichtsversorgung für die Schulen des Landes durch zusätzliche Planstellen für das Kultusministerium, finanziell abgesichert im Landeshaushalt.  
 
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o Ende der Entlassung von Referendaren nach dem 2. Staatsexamen. Bezahlung während der Sommerferien statt Wiedereinstellung zum ersten Schultag des neuen Schuljahres.
o Ausbau der Vertretungsreserve an den Gymnasien am besten über Springerverträge für jeweils ein Schuljahr (einschließlich der Ferien) für examinierte Lehrer. Entsprechende landesweite Einteilung in örtliche Bereiche. Begünstigung für die Einstellung in den Schuldienst nach Absolvieren eines „Springerdienstes“.
o Einstellung von Quereinsteigern mit entsprechender beruflicher Qualifizierung und zeitlichen Kapazitäten.  
o Erhöhung der Altersermäßigung mindestens ab dem Alter von 63 Jahren. Dadurch bleiben Lehrer länger bis zur gesetzlichen Altersgrenze im Dienst.
Soweit ersichtlich sind diese Vorschläge bislang noch nicht umgesetzt worden, obwohl sie Attraktivität des Lehrerberufes in Baden-Württemberg erhöhen würden und einen effektiven Beitrag zur Beseitigung des Lehrermangels leisten würden.
 
Prozessuale Fragen und Empfehlung zum weiteren Vorgehen  
Abschließend ist auf prozessuale Fragen einzugehen, wie ein betroffener Schüler (s. dazu oben: ab einem Unterrichtsausfall in den letzten drei Schuljahren vor dem Abitur von mehr als 8 % an Unterricht durch einen qualifizierten Lehrer bzw. ab einem Unterrichtsaufall in den einzelnen Abiturfächern von mehr als  8 % des Unterrichts) seinen subjektiv-rechtlichen Anspruch auf gleiche Erteilung von Unterricht gegebenenfalls gerichtlich geltend machen könnte:
An sich wäre eine allgemeine Leistungsklage auf Erteilung von Unterricht gemäß den rechtlich festgelegten Lehr- und Stundenplänen zu erheben.  
Näher liegt allerdings eine Feststellungsklage. Denn es ist dem Kläger nicht zumutbar, jeweils gegen einzelne Unterrichtsausfälle vorzugehen.49

Mit einem Feststellungsantrag kann er vielmehr
                                                 (49  Würtenberger/Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 478 mit Nachw.) 

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feststellen lassen, in welchem Umfang ein Unterrichtsausfall noch statthaft ist bzw. ab welchem Umfang ein Unterrichtsausfall rechtswidrig wird.  
Die Feststellungsklage ist nach der Rechtsprechung gegenüber der allgemeinen Leistungsklage nicht subsidiär.  
Mit der Feststellungsklage kann festgestellt werden, dass der Unterrichtsausfall in der Vergangenheit rechtswidrig war. Eine in die Zukunft gerichtete vorbeugende Feststellungsklage ist ebenfalls statthaft.50 Es kann festgestellt werden, dass der Beklagte gleichheitswidrigen und unzumutbaren Unterrichtsausfällen vorzubeugen hat.  
Bevor eine allgemeine Leistungsklage erhoben wird, sollte allerdings zunächst beim Ministerium ein entsprechender Antrag gestellt werden. Andernfalls könnte das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden51.  
Gleiches kann angenommen werden, wenn statt einer an sich ebenfalls statthaften allgemeinen Leistungsklage eine Feststellungsklage erhoben wird.  
Dies bedeutet im Ergebnis: Das vorliegende Rechtsgutachten sollte vor Klageerhebung dem Kultusministerium zugeleitet werden, um eine Verständigung über die von der ARGE für nötig erachteten Maßnahmen zu erreichen. Erst wenn diese Verständigung scheitert, wäre gegebenenfalls eine Feststellungsklage und/oder allgemeine Leistungsklage zu erheben.  
 
Stuttgart, den 25.02.2019
         
Prof. Dr. Thomas Würtenberger   Dr. Thomas Würtenberger, LL.M. Rechtsanwalt    

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht     

                                (50  Würtenberger/Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 468, 554. 

                                 51  Diese besondere Sachurteilsvoraussetzung einer allgemeinen Leistungsklage ist nicht unstreitig: Würtenberger/Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 457 mit Nachw. )